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Präsentation ohne Dombo

■ Erster Ost- und West-Pressespaziergang im Ostberliner Tiergarten - überschattet vom Tod der 37jährigen Elefantenkuh / Professor Dathe und die Highlights seiner Kulturstätte

„Hier hat sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Drama abgespielt“, sagte der kleine Herr im blauen Trenchcoat sächselnd und nahm, um seiner Trauer Nachdruck zu verleihen, seinen ebenfalls marineblauen Hut ab. „Wir hatten sie alle ins Herz geschlossen“, meinte er bedrückt, und nach einem ersten heftigen Blitzgewitter erklärte der kleine Herr dann dem Pressetroß, wie es zu dem Unglück kam. „Sie hat sich im Stall von ihren Fußketten losgerissen, dabei das Gleichgewicht verloren und ist dann in den Graben gestürzt. Da lag sie dann eingeklemmt auf dem Rücken und ist erstickt.“ Jetzt trauert der Tierpark Ost-Berlin um seine älteste Elefantenkuh.

Eine knappe Minute der Besinnung am Ort des Unglücks sollte genug sein, denn Tierparkdirektor Professor Heinrich Dathe wollte gestern auf seinem vorösterlichen Rundgang durch „die meistbesuchte Kulturstätte der DDR“ den Pressemenschen noch einiges mehr zeigen und dabei nicht in zeitlichen Verzug geraten. Außerdem hatte die verstorbene Elefantenkuh Dombo ohnehin das stattliche Alter von 37 Jahren erreicht und damit ihr Lebens-Plansoll erfüllt.

Eine halbe Hundertschaft an Reportern (zum ersten Mal aus beiden Teilen der Stadt), bewaffnet mit Videogeräten, Fotoapparaten und Stativen, sollte nun der morgendlichen Ruhe des Parkes ein abruptes Ende bereiten. Vereinzelte Spaziergänger, die den bis dahin ruhigen und sonnigen Vormittag dazu nutzen wollten, etwas Sonne einzufangen, wichen dem Trupp eingeschüchtert aus. Angeführt von dem kleinen Herrn mit dem blauen Hut an der Spitze, walzte der Vor-Ostermarsch im Schnellschritt quer durch den Tierpark. Blitzlichter und lautes Gequake weckten nicht nur eine verschlafene Hyäne. Transportwägen von Westberliner Rundfunkanstalten bildeten das Schlußlicht des absonderlichen Zuges.

Offensichtlich hatte die Tierparkverwaltung den Rundgang schon lange vorher vorbereitet. Denn wohin man sich auch begab, irgend etwas Spektakuläres passierte immer, und Herr Dathe war stets darauf bedacht, seinem Zeitplan strikt Folge zu leisten. Im Elefantenhaus stürzten sofort vier kleine Elefantenbabys ins Wasserbecken und luden mit einem ausgiebigen Geplantsche zum Fototermin. Lautes Ah und Oh im Krokodilhaus, als sich die sonst unbeweglichen Alligatoren um die toten (Tiefkühl-?) Fische rissen, die der Wärter ins Becken geworfen hatte.

Bloß die Flamingos schienen sich nicht an die Vereinbarung zu halten, man wolle sich der Presse heute nur von seiner allerbesten Seite präsentieren. Denn die ließen sich nicht durch die bloße Anwesenheit der Reporter bei ihren Balzgesprächen stören - und entzogen dem Tierparkdirektor mit lautem Geschnatter kurzerhand das Wort.

Julia Schmidt

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