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Powerplay der Platituden

■ Berlin-Tourismus à la russe in Viola Stephans „Kriegsende“

Berlin beginnt gleich hinter Brest — so jedenfalls will es aus der Perspektive von Auswanderungswilligen aus der ehemaligen Sowjetunion scheinen, die auf ihrem langen Weg gen Westen sind. An der weißrussisch-polnischen Grenzfeste nimmt der Film die ungebetenen Zuwanderer in Empfang, um von den endlosen Ebenen am Bug flugs in die Metropole an der Spree zu schwenken. Stau vorm Schlagbaum dort und Schlangestehen vorm Landeseinwohneramt hier — im Film kaum mehr als ein Kameraschwenk, der uns bedeuten will: Nirgendwo geht es einem gut.

Schon gar nicht im garstigen Spätkapitalismus, wo jeder gegen jeden kämpft und sich durchboxen muß. Eine These, die ebenso unnachahmlich schlicht ins Bild gesetzt wird, wenn zwei Sowjet-Asse beim Sparring die Fäuste zeigen — zur Gaudi unsympathisch dreinschauender Deutscher.

Wen derartige cineastische Tiefschläge nicht niederstrecken, der wird auch beim folgenden Powerplay der Platitüden, zwischen Entsetzen und unfreiwilligem Ergötzen schwankend, über die Runden kommen. Um Russen in Berlin geht es in „Kriegsende“ (gemeint ist das Ende des Kalten Krieges), und Russen in Berlin sind für Regisseurin Viola Stephan: wütende Mütter bei patriotischem Geplänkel im Sammellager, geschäftstüchtige Galeristen und pseudomondäne Gesellschaft, singende Rotarmisten und schmachtende Weißgardisten, viel falsche Folklore, Kasatschok und Ikonenkitsch, vermischt mit etlichen Wodka-Wässerchen. Eine Location-Tour zum protzigen Palast der Sowjet-Botschaft unter den Linden, zum noch protzigeren Heldenmonument im Treptower Park, zum winzigen russischen Friedhof in Tegel und zum letzten Segen in das orthodoxe Kirchlein — bevor die russische Seele in ein Original russisches Restaurant mit Kaviar und Krimskoje drängt. Ein buntes Bilderbuch lose aneinandergereihter Anekdoten und liebgewordener Klischees, das einem in Mode gekommenen Phantom nachjagt und uns ansonsten gottlob mit Plutoniumschmuggel duch KGB-Mafiosi verschont. Schade nur, daß die braven Sowjetsoldaten im Zuge rücksichtsloser Demobilisierung am Ende wieder ostwärts nach Sibirien müssen...

Der russische Philosoph Nikolaj Berdjajew berichtete bereits in den zwanziger Jahren, Berlin sei die westlichste Stadt des Ostens und die östlichste Stadt des Westens. Viola Stephan will uns offenbar sagen, das wiedervereinte Berlin sei mit dem Fall der Mauer ein weiteres Stück nach Osten gerückt. Eine Erfahrung, die freilich jeder Berlin-Tourist auf der Fahrt zwischen Alex und Zoo leicht selber machen kann. Roland Rust

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