wortwechsel
: Potpourri der Unstimmigkeiten

Grundeinkommen, Kinderbücher, Türkischer Tee, Drogen und Genitalien sollten – außer auf dieser Seite – nichts miteinander zu tun haben. Aktuelle Kommentare unserer LeserInnen

Smarter Automat: Meldet die (Ver-)Störungen der Welt, ist aber selbst auch extrem störanfällig Foto: dpa

Grundeinkommen

„Die Kehrseite des Grundeinkommens“, „Subventionen für die Unternehmen“, taz vom 2. 1. 18

Die Autor/innen unterscheiden nicht zwischen den in ihrem Ansatz total unterschiedlichen Konzepten des Grundeinkommens – dem neoliberalen und dem emanzipatorischen.

Die neoliberale Version, die auch durch die rechte Regierung in Finnland mit einer kleinen Gruppe der Arbeitslosen realisiert wird, sieht in der Einführung des Grundeinkommens vor allem die Möglichkeit des totalen Abbaus der Leistungen des Sozialstaates. Mit der Einführung des Grundeinkommens sollen alle bisherigen Sozialleistungen, wie vor allem die Kranken- und Arbeitslosenversicherung, abgeschafft werden, das heißt die Menschen sollen aus dem Grundeinkommen alle diese Leistungen selbst bezahlen, was die Möglichkeit ausschließt, nur vom Grundeinkommen zu leben. Die emanzipatorische Linie sieht dagegen im Grundeinkommen die Möglichkeit der Befreiung und Emanzipation des Menschen durch die Trennung von Arbeit und Einkommen – ein Paradigmenwechsel im Sinne gerechter Umverteilung der gesellschaftlichen Mittel und einem anderen Verständnis der Arbeit, in die auch „Care“-Arbeit einbezogen wird. Eine selbstverständliche Voraussetzung des Grundeinkommens stellt aber auch die Einführung des Mindestlohnes dar, damit das mögliche Lohndumping ausgeschlossen wird. Alena Wagnerová, Saarbrücken (Netzwerk Grundeinkommen)

Grundunsicherheit

„Strengere Regeln für die IT-Branche“, taz vom 7. 1. 18

Guten Morgen, liebe tazler, schön, dass Ihr auch über die Störanfälligkeit von IT-Systemen (nichts anderes sind ja Sicherheitslücken) berichtet. Mit fehlt allerdings der kritische Abstand. Wenn wir als Gesamtgesellschaft praktisch unser gesamtes Tun und Treiben über ein einheitlich konstruiertes Hilfsmedium abbilden, darf sich nicht gewundert werden, wenn es zu Zwischenfällen kommt. Die schlichte Regel lautet: Je höher der Vernetzungsgrad, desto anfälliger ist das System. „Anfällig“ kann hier auch bedeuten: keine Medikamente für Todkranke mangels Effektivität, ermittelt auf Basis analytischer IT-Algorithmen, zum Beispiel von Krankenversicherungen – zur wirtschaftlichen Optimierung. Wolfgang Siedler, Langenhagen

Teezeremonie

„Teetrinken mit Gabriel“,

taz vom 7. 1. 18

Die Kritik zu dem Besuch Erdoğans bei Gabriel könnte schärfer ausfallen. Wer hätte das gedacht – noch gestern übelste Beschimpfungen deutscher Politiker, Einreiseverbote, Geiselnahme. Und jetzt? Miteinander reden? Ja, unbedingt. Muss man dann auch gleich miteinander ins Wohnzimmer gehen? Fehlen nur noch die beiden Ehefrauen mit Kind auf dem Arm im Hintergrund, vor dem Panoramafenster mit Blick in den gutbürgerlich gepflegten Garten. Franz Scharte, Harsewinkel

Kinderbücher

„Danke! Danke! Danke!“,

taz vom 4. 1. 18

Ich kenne diese Art der Beinahe-Zusammenbrüche auch, etwa während die Kinder Erich-Kästner-Hörspiele hören und ich den Eindruck habe, fortwährend auf den Pausenknopf drücken zu müssen, um meinen vier Söhnen zu erklären, dass auch Jungs durchaus kochen dürfen, ohne sich dafür schämen zu müssen. Oder, dass man, wenn man die dicke Berta schon mit diesem völlig unnützen Adjektiv beschreiben muss und sie – ist ja nur die Köchin des Hauses! – ausschließlich mit Vornamen anredet, ihr drohen kann, den „Ausgang“ zu streichen, wenn nicht sofort das Essen serviert wird … und auch den Direktor Pogge lieber den feisten Fritz oder frechen Vollarsch (sorry, das ist wohl kein Vorname?!) nennen sollte.

Die schlimmste Erfahrung habe ich gemacht, als man meinem Ältesten in der Förderschule für körperliche und geistige Entwicklung in der ersten Klasse mit „Irgendwie anders“ (Original: Something else) von Kathryn Cave und Chris Riddel inbrünstig belehrt hat, dass er zu der Gattung der trotteligen, langrüsseligen, dicknasigen, irgendwie anderen Menschen gehört.

Bis dahin war er davon ausgegangen (ich tue es heute noch), er dürfe einfach nur sein (mindestens ein von uns geliebter Mensch mit Eigenschaften).

Ab diesem Zeitpunkt wussten er und auch wir, dass wir da etwas Sonderbares als Vollfamilienmitglied haben, welches sich nicht nur deutlich unterscheidet von dem „normalen“ Rest, sondern sich fortan lediglich mit anderen sonderbaren Wesen zusammenfinden kann …

Nichts hat bisher auf so subtile Weise (und auf ganz krasse Weise) versucht, einen so deutlichen Riss in unsere Familie zu treiben wie dieses niedliche bunte Buch mit den hübschen Bildern.

Natalie Fröhlich-Primus, Hörstel

Genitalien

„Schönheitsideale unter der Gürtellinie“, taz vom 8. 1. 18

Wer meint, sich im Gesicht oder an den Genitalien liften lassen zu müssen, ist zum einen plemplem und kann sich das zum Zweiten leisten. Zum Dritten ist er oder sie auch bedauernswert. Gleiches gilt für Leute, die sich die Genitalien bleichen lassen. Was normative kulturelle Vorstellungen von Genitalien betrifft, die so richtig in breiter Fläche schädlich sind und in der Durchführung leider auch sehr billig zu haben – ist die weibliche Genitalverstümmelung zu nennen und (wenn auch weniger grausam) die männliche Beschneidung.

Verdammt viele, aber nicht alle abstrusen Normierungen sind „weiß“ konnotiert. Rebecca Nansen, Berlin

Drogen

„Überdosis im Kinderzimmer“,

taz vom 9. 1. 18

Wie emotionslos muss man eigentlich sein, um den Enkel auf dem Rücksitz der Drogentoten als emotionslos zu bezeichnen? Bewegungslos vielleicht, leicht vorstellbar. Sprache ist wichtig. Alix Kokula, Berlin