: Potemkin mit Graffitis
■ Ab Dezember feiert Bremen den Hundertjährigen des Films im Kino 46 4646
Heute gehen wir ins Kino. Diesen Satz konnte vor hundert Jahren noch niemand aussprechen. Erstaunlich, aber wahr: Die erste öffentliche Filmvorführung fand am 27.12.1895 in Paris statt, wo zur selben Zeit, aber das nur nebenbei, auch der Striptease erfunden wurde.
Hundert Jahre Film, bei diesem Jubiläum mag ganz Europa Regie führen. Von höchster EU-Ebene erging die Weisung, man möge huldigen und feiern. In Deutschland ermunterte der Bundesinnenminister die Länder und diese die Kommunen. Auch die haben einen starken Willen, allein, es mangelt an Geld.
40.000 Mark kratzte Bremen zusammen, um das hundertjährige Filmbestehen zu würdigen. „Sehr, sehr wenig“, bedauert Karl-Heinz Schmid vom Kino 46, dem logistischen Zentrum des Events. Trotzdem hat die vor etwa einem Jahr gegründete Arbeitsgruppe, in der unter anderem VertreterInnen der Landesbildstelle, VHS und Uni, des Radios, Filmbüros, Staatsarchives, des kommunalen und anderer Kinos kooperieren, einiges auf die Beine gestellt. Die Geburtstagsfeier wird so ein ganzes Jahr dauern, das Kultursenatorin Helga Trüpel am 16.12.94 einläutet. Dabei wird sie vom Filmklassiker „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ (Deutschland 1927 / Regie: Walther Ruttmann) begleitet, und dieser von einem leibhaftigen Orchester.
Ab Januar läuft dann im Kino 46 die Zeit zurück, in jedem Monat ein Jahrzehnt. Den Beginn machen die Filme der 80er, vornehmlich Arbeiten von Aki Kaurismäki, weil der so einen deutlichen Bezug zu Godard hat. Ins Detail geht man bislang nicht öffentlich, die Planung steht noch nicht ganz. .
Das betrifft auch die „besonderen Ereignisse und cineastischen Großveranstaltungen“. Highlight im Januar ist die Aufführung des „Spartacus“ (Stanley Kubrick, 1959). Im Februar zeigt das Staatsarchiv einen Teil seiner Filmplakate. Im März beginnt das „Filmfest Bremen“, das sich diesmal natürlich dem Hundertjährigen zuwendet. Hier werden historische Leckerbissen gezeigt wie „Die Bremer Eiswette von 1933“ (Bund Deutscher Amateurfilmer Bremen) oder die freilich nichtbremische „Entstehung der Eidgenossenschaft“ (Emil Harder, 1928). Heimische Amateurfilmer sind aufgerufen, nach Celluloidschniepeln zu suchen und diese dem Filmbüro (Waller Heerstr. 46) zuzuschicken.
Im April rauscht Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) über die Leinwand. Ein Open-Air im Juni auf dem Domshof soll Bedürfnisse nach trivialeren Streifen erfüllen. „Die Halbstarken“ treffen sich jedoch erst im September, um im Modernes den gleichnamigen Film mit Horst Buchholz nachzustellen. Eine Reihe von illustrierten Vorträgen eröffnet uns im gleichen Monat den „Blick auf die Welt durchs Kino“. Im November zeigen die Jugendlichen ihre im Medienzentrum entstandenen Computergraffitis. Zum Abschluß bedeckt noch Rätselhafteres die Leinwände: PPPP, das „Perforierte Partikel Projektions Projekt“ präsentiert eine Performance.
Ein breites Programm, obwohl die cineastischen roots in Bremen kurz sind. Die FilmproduzentInnen mieden die Rolandstadt, allein Ausnahmeproduzent Friedrich Wilhelm Murnau jagte 1922 Nosferatus Totenschiff samt Ratten ins Schnoor-Viertel. Kinos aber gibts hier so lange wie den Film. An Publikum also hat es nie gemangelt. Das wird sich zum Hundertjährigen kaum ändern. dah
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