Postsozialistische Versprechen in der Werbung: Wovon Kommunisten träumen
Liebevoll an Linke denken: Das schafft zurzeit wohl nur noch die Werbung mit ein paar ironischen Tricks, ihre Versprechen in die Rhetorik des Klassenkampf zu hüllen.
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Von Bertold Brecht weiß man, dass er gerne und schnell mit dem Auto unterwegs war. Dass er sogar einmal eine Werbung für einen Automobilhersteller gereimt hatte, in der von einem im Ersten Weltkrieg erprobten Militärgewehr die Rede war. Brecht selbst hatte sich 1928 bei der österreichischen Waffen- und Maschinenfabrik Steyr als Werbebotschafter beworben. Und als Honorar, genau das war sein Ansinnen, einen Wagen der Marke Steyr erhalten.
Vermutlich würde Brecht heute Porsche fahren, mit einer Schnittstelle für seinen iPod in der Mittelkonsole. Oder einen dieser halbalten Saabs, wie sie so regelmäßig auf dem Mitarbeiterparkplatz des Berliner Ensembles parken. Vermutlich also würde Bertold Brecht heute keinen Dacia Logan fahren. Und auch dem jungen Che Guevara hat sein Motorrad sicher besser gestanden als jene plastikpragmatische Kombilimousine rumänisch-französischer Provenienz. Jenes preiswerte Mobil, anlässlich dessen Markteinführung sich vor knapp drei Jahren die Rede vom Billigauto etabliert hatte.
Dafür, dass sich diese Frage überhaupt stellt, sorgt seit einigen Wochen ein Werbespot, in dem zwar kein Bert Brecht, aber neben dem jungen Che Guevara immerhin noch Fidel Castro, Mao Tse-tung, Wladimir Iljitsch Lenin, Mahatma Gandhi, Ho Chi Minh, Rosa Luxemburg, Martin Luther King und Karl Marx zu, nun ja, medienreflexiven Ehren kommen. Dafür sorgt eine vergilbte, zerkratzte Schmalfilm-Ästhetik, die die Revolutionäre von einst in ihren hinlänglich musealisierten Revolutions-Outfits durch ein Gebäude namens kollektives Gedächtnis begleitet. In der vorletzten Einstellung sitzen Che Guevara und Karl Marx auf der Veranda. Sagt der eine zum anderen: "It is time for another revolution." Sagt der andere zum einen: "Its about what people really need."
In der letzten Einstellung dann findet sich die Kamera in einer uniformen Fußgängerzone wieder. Passanten - offensichtlich jene "people", von denen Marx eben noch gesprochen hatte - beschnuppern ein Auto, während ein überdimensioniertes Preisschild auf dem Dach des Dacia verrät: Diese Revolution ist schon ab 8.400 Euro zu haben. Sieht so jenes "konsumistische Manifest" aus, von dem der Kulturphilosoph Norbert Bolz gesprochen hat? Und ist so etwas Guerilla-Marketing, einfach weil sich die Hamburger Agentur Nordpol+ in ihrem Spot der Ikonografie eines Guerillakämpfers bedient?
Und überhaupt. Ist dieser Dacia Logan nicht ein postsozialistisches Versprechen? Produziert von einem ehemaligen rumänischen Staatskonzern, der seit 1969 französische Renaults als sozialistische Lizenzausgaben nachgebaut hatte und der nun als Tochtergesellschaft von - eben - Renault preiswerte Autos für osteuropäische Kapitalismusneulinge produzieren sollte. Wahrscheinlich war man bei Renault selbst überrascht davon, was Menschen wirklich wollten. Davon, dass die günstigen Wagen auch im alten Europa zu Bestsellern avancierten. In Deutschland etwa hat Dacia im vergangenen Jahr doppelt so viele Fahrzeuge verkauft wie die ehedem unter Linken so beliebte Marke Saab. Und wahrscheinlich ist genau das das Kluge an diesem ohnehin ziemlich cleveren Spot: Der Praxis der Konsumenten wird ein historischer Legitimationsmythos als listig-lustiges Zeichenspiel hinterhergeschoben. Ein buchstäblich einfaches Auto kann offensichtlich die Entfremdung moderner Zivilisationszusammenhänge aushebeln.
Vor einigen Wochen übrigens sind die 13.000 Dacia-Arbeiter im südrumänischen Pitesti in den Streik getreten - auch sie wollen an den Margen partizipieren, die ihre Marke gerade in Westeuropa einfährt. Ganz plötzlich ist die Rhetorik des Klassenkampfs vom popcoolen Zitatschatz wieder in den Alltag der Fließbänder gepurzelt.
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