: Postposse der SPD
■ Interner Streit um eine Reinickendorfer SPD-Kandidatin, die vor neun Jahren bei der Post 5.000 Mark gestohlen hat
Anderthalb Wochen vor der Wahl haben die Reinickendorfer Sozialdemokraten sich selbst als Gegner entdeckt. Zum rechten Flügel zählende Mitglieder fordern den Rücktritt des Kreisvorsitzenden Thomas Gaudszun, weil dieser angeblich wider besseren Wissens die Kandidatur der wegen Diebstahls aus dem Dienst entlassenen Kandidatin Karin Hiller- Ewers unterstützt hat. Die 43jährige, die auf den aussichtsreichen Platz 4 der Bezirksliste nominiert wurde, mußte vor sechs Jahren auf Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts als Postbeamtin ausscheiden. 1986 hatte sie aus der Schalterkasse einer Kollegin 5.000 Mark mitgehen lassen, wurde aber nicht vorbestraft. „Für ein solches herausragenden Mandat ist Frau Hiller-Ewers ungeeignet“, meint die Abgeordnete Doris Schneider.
Den Vorwurf, der Partei zu schaden, weist Schneider zurück. Wegen der vielen ehemaligen Arbeitskollegen von Frau Hiller- Ewers wäre „die Geschichte früher oder später im Wahlkampf herausgekommen“. Vor Augen hat Schneider den Fall des Berliner SPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Neumann, dessen diverse Vorstrafen erst nach der Bundestagswahl 1994 herausgekommen waren und heftige Angriffe in der Öffentlichkeit auslösten. „Heimlichkeiten schaden doch nur der SPD“, meint Schneider. Ihr Ehemann, bis vor drei Jahren SPD- Fraktionsvorsitzender im Reinickendorfer Bezirksparlament, hatte die Parteispitze nach erfolgter Nominierung im April über die Verfehlung der Kandidatin Hiller- Ewers informiert. Zwar schrieb Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung an den Kreisvorstand – getan wurde aber nichts.
Für einen Rückzieher sei es ohnehin schon aus satzungsrechtlichen Gründen jetzt zu spät, meint er. „Es ist Sache der Delegierten, abzuwägen, ob ein neun Jahre zurückliegender Fall für eine Kandidatur hinderlich ist.“ Zumal die „Kungelkreise“ sich „öffentlich im Frühjahr“ auf der Wahlkreiskonferenz hätten erregen sollen, ärgert sich Hartung. Einen Vorwurf, den Doris Schneider von sich weist: „Die Vorwürfe gegen Frau Hiller- Ewers sind meinem Mann erst nach ihrer Aufstellung zu Ohren gekommen.“
Überlappt wird die Auseinandersetzung um Hiller-Ewers von ideologischen Diffenrenzen. Die Rechten um Doris Schneider stören sich auch daran, daß eine Arbeitsgruppe zur PDS ausgerechnet von der Witwe des ehemaligen Bausenators Harry Ristock geführt werde. Der sei, so Frau Schneider, zwar „tiefer Demokrat“ gewesen, habe aber seine Sympathien gegenüber der DDR nie verhehlt. Schneider befürchtet nun gar eine Zusammenarbeit der PDS-Arbeitsgruppe mit der Gysi- Partei: „Das ist nicht auszuschließen.“ SPD-Landesvorsitzender Detlef Dzembritzki, selbst Reinickendorfer Bürgermeister, reagierte unterdessen barsch. Die Vorwürfe seien ein „Kasperletheater“. Eine Äußerung, die Frau Schneider „tief kränkt“. Severin Weiland
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