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Postmodernes Sargidyll

■ „Krankheit oder Moderne Frauen“ von Elfriede Jelinek in der Inszenierung von Amélie Niermeyer im Münchener Cuvilliéstheater

Genaugenommen sind wir alle Vampire. Wir nähren uns vom schon Dagewesenen. Saugen kräftig am nie versiegenden Leben und verbarrikadieren uns in unseren Särgen, die uns vor dem Leben schützen. Nicht alle aber haben ein Bewußtsein davon, daß sie Vampire sind. Am ehesten noch die Frauen. Sie wissen, daß ihre Existenz am Blut der anderen hängt – meistens an dem der Männer.

Elfriede Jelinek ist Großmeisterin im Aufzeigen dieser Abhängigkeiten, in der pessimistisch-rituellen Litanei über weibliche Selbstfindungsexerzitien. Ihr vor elf Jahren uraufgeführtes Stück „Krankheit oder Moderne Frauen“ gehört dazu. In exzessiver Überdrehung wird hier anhand zweier weiblicher Vampire das gesellschaftliche Niemandsland gezeigt, in dem wir Frauen in der Männerwelt leben.

Vampirismus als Metapher einer Lebensform in der postmodernen Gesellschaft. Vampirismus ist bei Jelinek aber auch eine literarische Haltung, die schonungslos die Literatur- und Kulturgeschichte aussaugt, um die eigenen Wortimplantate zu durchbluten.

Die 32jährige Regisseurin Amélie Niermeyer, 1992 mit dem Münchner Förderpreis für Frauenforschung und Kultur ausgezeichnet, hat sich nun diese „Frauenkrankheit“ für das Münchner Debüt der Wienerin Jelinek (mit Zweitwohnsitz in München) ausgesucht. Ein Unstück ist diese Geschichte von der dichtenden und vor allem blutsaugenden Krankenschwester Emily mit lesbischen Neigungen und Carmilla, der treusorgenden Hausfrau und Mutter, die bei der Geburt ihres sechsten Kindes stirbt und von Emily zur Vampirin geadelt wird.

Dies verlangt einen unwirklichen Ton, eine surreale Spielebene, befremdlich vertraut agierende Schauspieler. Jelinek macht es dem Theater nicht leicht mit ihren collagierten Wortkaskaden, ihren handlungsarmen Stimmungsbildern menschlicher Raster und karikierter Grundmuster.

Der Anfang ist vielversprechend: Fernsehshow mit „Fledermaus“-Sound. Entertainment als perfekte Verpackung für einen Durchschnittsmacho, der sein Ego vorführt, wollweiß gewaschen und sansoweich: Germain Wagner charmiert als Dr. Heidcliff, Facharzt für Kiefer- und Frauenheilkunde. Frisch verlobt mit Emily (Susanne Tremper), seiner Sprechstundenhilfe, deren Appetit auf Blutkonserven größer ist als auf seinen „kleinen Handelsvertreter“. Im Sprechzimmer dominiert ein gynäkologischer Stuhl, der von beiden wechselnd als Sitzplatz erobert wird, zur Unterstreichung eines Small talks, der ihren unterschiedlichen Lebensort illustriert.

Das Manegenhalbrund der Spielfläche (Bühne und Kostüme: Stefanie Seitz) öffnet sich in eine abstrakte Landschaft, in der Heidcliff sein Bedürfnis nach Natur schwimmend befriedigen kann, wobei der Sprung ins Wasser den Wechsel auf einen Monitor mit sich bringt – ein treffend symbolisierter Übergang von realem zu virtuellem Lifestyle und ein Verfremdungseffekt, der sich immer dann wiederholt, wenn sich Gefühle Ausdruck verschaffen.

Auch die runde, weiche Knuddelwiese bietet als surrealer Ort intimer Geständnisse eine Ebene der Distanzierung. Durch den gar zu naturalistischen Auftritt des Steuerberaters Dr. Benno Hundekoffer (Achim Buch) mit Frau Carmilla (Christiane Roßbach) und vier Kindern wird diese szenische Idee allerdings schnell wieder zunichte gemacht, und im Laufe des sich zeitweise quälend dehnenden Stücks findet sich auch keine andere Entsprechung mehr.

Vielleicht hätte Amélie Niermeyer auf so überhöhten Schnickschnack der Autorin wie „Heiliger“ und „Märtyrerin“ optisch nicht verzichten sollen. Vielleicht hätte manche Kürzung gutgetan. Auf jeden Fall hinterläßt das im Sargidyll der weiblichen Vampire gipfelnde Stück Gefühle der Ödnis, wenn sich zum Schluß vor apokalyptischer Kulisse die männlichen Großwildjäger als schwachsinnige Faschos gar zu blöde an ihnen vergreifen. Vera Botterbusch

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