■ Nachwahlen in Albanien: Demokratie als Farce: Postkommunistische Diktatur
Albanien mag kaum über ein Fünfzigstel der Wählerschaft Rußlands verfügen. Trotzdem wird späteren Geschichtsschreibern der 16. Juni 1996 vielleicht eher wegen der Nachwahlen in Albanien im Gedächtnis bleiben als wegen der „Schicksalwahl“ in Rußland. Denn für Albanien ist dieses Datum eine historische Zäsur, die das Riesenreich vielleicht noch vor sich hat.
In Albanien wurde das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 26. Mai massiv und organisiert gefälscht. Der Bericht der OSZE-Beobachter, der in der letzten Woche „veröffentlicht“, tatsächlich aber so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde, läßt keinen anderen Schluß zu. Die Nachwahlen am Sonntag in 17 von 115 Wahlkreisen, ein Kompromiß zwischen dem Berisha-Regime und der OSZE, ändern daran nichts – sie verbreiten nur den fälschlichen Eindruck, Europa habe sich in seinem Armenhaus um die Einhaltung demokratischer Standards bemüht. Die Weigerung der exkommunistischen, der sozialdemokratischen und der liberalen Opposition, sich an dieser Farce zu beteiligen, war nicht nur gerechtfertigt, sondern auch alternativlos. Europa hier nachzugeben hieße, Albanien den Weg nach Europa verbauen.
Wer westlichen Politikern diesen Etikettenschwindel empört vorhält, dem wird augenzwinkernd beschieden, da unten am Balkan werde es ohnehin auf absehbare Zeit drunter und drüber gehen, und man könne froh sein, daß da einer die Zügel stramm in der Hand halte. Europas neuer Diktator Sali Berisha, heißt es, garantiere immerhin „Stabilität“. Bisher hörte man, ein Höchstmaß an Demokratie garantiere die Stabilität. Für Länder an der Peripherie des Erdteils scheint das nicht mehr zu gelten. Albanien, die letzte kommunistische Diktatur Europas, ist nach kurzem demokratischem Aufbruch nun, mit dem Segen des Westens, die erste postkommunistische Diktatur. Wer wird folgen? Rumänien? Rußland?
Die, vom Westen gestützte albanische Art der Stabilität hat Konsequenzen, die auch für uns ungemütlich werden können: Man braucht einen festen Grenzzaun gegen alle, die ihren Diktatoren davonlaufen wollen, und man braucht militärisch starke regionale „Schutzmächte“, die verhindern, daß die kleinen Potentaten aufeinander losgehen. Es wäre wieder ein zweigeteiltes Europa – mit hochgerüsteten Regimen im Osten, die auf mittlere Sicht weitaus weniger berechenbar wären als ihre kommunistischen Vorgänger. Bevor wir Diktatoren stützen, sollten wir uns sehr genau überlegen, in welchem Europa wir leben wollen. Norbert Mappes-Niediek
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