: Postkoitaler Sternenfurz
■ Nachtkantine: Ulrich Tukur und Catrin Striebeck zeigten vom Blümchenbett aus freakige Filme von Thomas Struck
Moderatoren sind heuer die Garantie für den Inhalt des Programms. Insofern war der Weg in die Nachtkantine am Freitag risikolos, denn dort gab man eine „Kurzfilmpräsentation, zwangsmoderiert von Ulrich Tukur und Catrin Striebeck“. Durch einen sicheren Griff in die Gefühls- und Lebensartkiste der Siebziger entstand hier eine Sternstunde der kleinen Form, die an Charme und Witz gemischt mit einem Funken Melancholie kaum zu überbieten ist.
Ulrich und Catrin kuschelten auf der Kantinenbühne unter Blümchenmusterbettwäsche auf der Doppelmatratze in giggelnder Nachlust – aus dem Bette mag man noch nicht, zum Weitervögeln fehlt die Kraft, da ist Heimkino doch genau das Richtige. Sechs Kurzfilme von Thomas Struck hatte Ulrich hinter seinem Bettkasten wiedergefunden. Zehn, zwanzig Jahre alte Filme, die uns noch einmal ganz harmlos die Zärtlichkeit des Seins der 68er fühlen ließen. Der warme Punkt: zwei junge Männer „auf der Suche nach der Vision“. Ausgestattet mit einem Gral aus Ei und Wodka in einer Puddingschale, durch die Stadt irrend, befinden sie sich ständig in der Sackgasse. „Wir sind in einer ausweglosen Situation!“ Wohl wahr – der Gral soll zum Schmied nach Großhansdorf. Er sieht aber schon nach einigen Kilometern so scheiße aus, daß sie ihn wegkippen.
Hatte dieser Streifen die Herzen schon weit geöffnet für die liebevolle Zeit der Tabubrüche, füllte Release sie anschließend mit Staunen: ein subjektiver Einblick in das Gelingen eines Drogenselbsthilfeprojektes in der Karolinenstraße. Die Auseinandersetzung mit dem Leben und einer Sucht – einer neben Freßsucht, Eifersucht, Sehnsucht – gilt heute noch als Pionierarbeit.
Durften Uli und Catrin noch ein bißchen aneinander herumfummeln, bekam das Publikum schön gerollte Joints zum Rauchen. Leicht in Herz und Gemüt wurde danach eingeladen zur Sternfahrt, handgemacht von Thomas Struck. Ein Zeichentrickfilm nicht nur für Kinder. Fussel erforderte dann noch einmal die volle Konzentration. Eva Mattes forschte als Kommissar erfolgreich nach dem Corpus delicti, dem recht widerspenstigen Fussel.
Der Bilderbogen endete mit dem Kleinen Furz. Sein Weg in die Unterwelt zu den anderen Fürzen war aufregend, bunt und schnell, peinlich, stinkig und laut. Solche Filme kann heute keiner mehr drehen. Man kann sie nur noch ansehen.
Die Nachtkantine war einen Abend lang die Kultstätte einer vergangenen Generation, das Publikum bereit sich auf das Matratzenlager zu betten und den Joint noch mal rumgehen zu lassen - oder doch nicht?
Elsa Freese
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