piwik no script img

Possenspiel um Stasi-Akten

■ Verschwundene Terrorismus-Akten sind wieder da/ Ex-Innenminister Diestel wehrt Vorwürfe ab/ Westdienststellen hatten das Material

Potsdam. Stasi-Akten sind immer wieder für eine Story gut — zudem, wenn der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU) darin verwickelt ist. Doch entpuppt sich die jüngst zum Skandal hochgezogene Akten-Veruntreuung durch Diestel immer mehr als ein Sturm im vielzitierten Wasserglas. Gestern sind die — erst zu Wochenbeginn von der 'Thüringer Tagespost‘ als verschwunden gemeldeten — „gewaltsam beschlagnahmten hochbrisanten Terror-Akten“ aus dem Erfurter Archiv wieder aufgetaucht. Und zwar im Gemeinsamen Landeskriminalamt (GLKA) in Berlin, das seit der staatsanwaltschaftlich angeordneten Übernahme am 31. August vergangenen Jahres die Unterlagen gesichtet hat.

Jedoch haben die „mysteriösen“ Akten-Bewegungen bereits ein juristisches Nachspiel. Aufgrund der Thüringer Vorfälle hatte Ex-Stasi- Auflöser Werner Fischer der 'Tagespost‘ zufolge Anzeige gegen den heutigen CDU-Oppositionsführer im Potsdamer Landtag gestellt. Doch die damit seit dem 1. Juli befaßte Berliner Staatsanwaltschaft fahndete bislang ergebnislos. Justizsprecherin Uta Fölster sagte, im Rahmen der Ermittlungen werde „gegenwärtig geprüft, ob an den Vorwürfen etwas dran ist“.

„Widersinnig und völlig an der Sache vorbei“ — so sieht der Ex-Innenminister den Vorwurf, er habe unberechtigt Stasi-Akten über die RAF den Bundesbehörden übergeben. Das betreffe die Aussagen in den 'Brandenburgischen Neuesten Nachrichten‘ über eine angeblich heimliche Übergabe von RAF-Akten ohne Rechtsgrundlage, die „lächerlich“ seien. Die Erfurter Akten seien auf Grundlage einer Verfügung beim damaligen DDR-Generalstaatsanwalt vom 24. August 1990 durch die Diensteinheiten TE12 und TE33 vom BKA Wiesbaden gesichtet und ausgewertet worden. Danach, so ein damaliger Diestel-Mitarbeiter, wurden sie am 17. Dezember 1990 der Abteilung Staatsschutz des Gemeinsamen Landeskriminalamtes „zur weiteren Veranlassung“ übergeben. „Ich habe weder in einer Nacht- und Nebelaktion persönlich Stapel von Unterlagen durchsortiert, noch Aktenordner in großen Koffern nach Bonn getragen“, so Diestel.

Hinsichtlich der Erfurter Akten bestätigte GLKA-Sprecherin Birgit Griep, es seien „alle Akten wieder da — bis auf das letzte Blatt“. Jedoch gehe es nicht um Originale, sondern um Kopien von Stasi-Akten zum Terrorismusbereich und zum „radikalen Potential“, unter anderem zur rechtsextremen Wiking-Jugend im thüringer Raum. Als Originale seien lediglich Karteikarten mitgenommen worden, doch wurden auch davon Kopien gezogen, die sich noch im Erfurter Archiv befinden müßten. Da die Sichtung der Unterlagen in Berlin nun abgeschlossen sei, werden sie „unverzüglich“ an die Gauck-Behörde übergeben, betonte die Sprecherin.

Diestel beruft sich bei der Behandlung der Stasi-Akten zum Terrorismus nicht nur auf den Ministerratsbeschluß vom 16. Mai 1990, der ausdrücklich als Schwerpunkt die „Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus“ nennt, sondern auch auf Verfügungen aus der Zeit der Modrow-Regierung. Schon „drei Tage nach Amtseinführung“ am 12. April 1990 habe es auch eine Vereinbarung mit Bundesinnenminister Schäuble gegeben. Ebenfalls hätten Rechtshilfeersuchen bundesdeutscher Behörden vorgelegen und es sei „selbstverständlich“ gewesen, daß der Generalbundesanwalt „Zugang zu den Akten“ hatte. „Das war auch so eine Art Nothilfe“, sagte Diestel. „Fast unmöglich“ sei, so Diestel, daß Originalakten zum Terrorismus direkt nach Wiesbaden zum BKA vor dem 16. Mai gegangen seien.

Verwaschen bleibt lediglich der Punkt, ob der Ex-Innenminister denn auch per Buchstaben des Gesetzes befugt war, die bundesdeutschen Stellen zu der damaligen Zeit einzuschalten und ihnen Material zu überlassen. Doch hätte nach ganz persönlicher Auffassung von Frau Griep bei einer ernstgemeinten Terrorismus- Bekämpfung in der DDR an einer engen Zusammenarbeit zwischen dem BKA und den DDR-Stellen kein Weg vorbeigeführt. Diestel ist sich sicher, daß er bei Nicht-Einsichtnahme westdeutscher Behörden in die Akten wegen Strafvereitelung und Beihilfe zu Straftaten belangt werden müßte. adn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen