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PortraitDer Dinosaurier

Ob er die visuelle Poesie erfunden hat? Ja, sagt der Lübecker Klaus Peter Dencker – jedenfalls in der Form, die er selbst praktiziert: Als Sequenz von Din-A-4-Blättern, die in Wort und Bild Geschichten erzählen. Eigentlich seien es Collagen, sagt Denker, wobei aber Wort und Bild einander nicht illustrieren: „Das wäre ja zu platt.“

Begonnen hat Dencker, der jetzt zum 100. Dada-Geburtstag – und seinem eigenen 75. – in Lübeck und Hamburg ausstellt, 1967. Da las er Bücher über Konkrete Poesie und die Wiener Gruppe um Gerhard Rühm, war fasziniert. Nicht von der Konkreten Poesie, die damals Triumphe feierte. Die war Dencker zu blutleer und hermetisch. Aber von der Visuellen Poesie, ihrer Unterabteilung sozusagen: „Damals habe ich begriffen, wie frei, wie völlig unabhängig von etablierten Regeln diese Künstler waren – und dass auch ich es sein konnte.“

Natürlich: Es war nicht das erste Mal, dass Künstler Grenzen sprengten. Aber für Dencker war es ein Auslöser zu sagen: „Ich schreibe keine herkömmliche Poesie mehr, da kann ich nichts Neues bieten. Wohl aber zur visuellen Poesie.“ Und das nicht als Dadaist. Auch nicht als Bildender Künstler. Nein, als Schriftsteller will er arbeiten, will ein weißes Blatt nehmen, loslegen und zwischen Zeichen, Bild, Bedeutung wandeln. Etwa zum Thema „Freiheitsstatue“, dem er im August 2001 eine Ausstellung in Chemnitz widmete.

Dencker ist in den Methoden eher ein Dinosaurier, das gibt er zu. „Ich schnipple und klebe meine Zeitungs- und Zeitschriften-Ausschnitte immer noch von Hand und habe mit Digitalisierung nichts am Hut.“ Andererseits sagt er, die Digitalisierung sei der Grund dafür, dass sich Visuelle Poesie bis heute halte: „Weil so immer neue Möglichkeiten der Wort-Bild-Kombination hinzukommen.“

Aber er selbst bleibt bei dem, was er seit 49 Jahren tut, und sein Markenzeichen, die Sequenz, ist inspiriert durch seine Zeit als Redakteur und Filmemacher beim Saarländischen Rundfunk. „Das war meine beste und kreativste Zeit“, sagt er. Schon damals habe er Filme über die 1920er-Jahre gedreht, unter anderem über Kurt Schwitters und George Grosz, habe die Dadaisten Hans Richter und Walter Mehring noch persönlich gekannt.

Dann, 1985, der Bruch: Umzug nach Hamburg aus familiären und gesundheitlichen Gründen, keine Bewerbung beim NDR – „eine so komfortable Stelle wie beim SR hätte ich da nicht bekommen, und ich wollte ja weiter kreativ sein“. Kreativ? Als prompt ernannter Leitender Regierungsdirektor der Hamburger Kulturbehörde? Nun ja, sagt Dencker, immerhin sei er für viele Bereiche zuständig gewesen – Literatur, Bildendende Kunst, Film, Neue Medien.

Trotzdem: Kann ein Künstler in einer Behörde glücklich sein? „Ach, berühren Sie nicht dieses Thema, das war anfangs sehr schwer für mich“, sagt er und lacht dann doch. „Ich habe fast eine Identitätskrise bekommen.“ Peu à peu versuchte er, das Beste daraus zu machen: Schlug vor, am Standort Hamburg die Neuen Medien stärker zu fördern, vielleicht gar eine Medienakademie zu gründen. Das kam erstmal ganz schlecht an: „Die haben mir den Vogel gezeigt.“ Aber er bekam dennoch einen Medien-Titel in den Kulturhaushalt eingestellt, sodass er einen Medienpreis verleihen und internationale „Interface“-Symposien abhalten konnte. Als Dencker dann in Rente ging, 2002, „haben die den Titel ganz schnell wieder gestrichen“. Es klingt ein wenig verbittert, und vielleicht hat er ja recht.

Und sonst? „Bin ich künstlerisch nach wie vor auf der Suche“, sagt Dencker, der zurzeit Hans Magnus Enzensbergers „Einzelheiten“-Essays von 1962 liest, die vor Beschimpfungen Visueller Poeten nur so strotzen. „Das ist schon haarsträubend, wie wir Experimentellen damals von den Etablierten fertiggemacht wurden“, sagt Dencker.

Es klingt ein bisschen, als stricke da jemand an seinem eigenen Mythos, dabei ist das gar nicht nötig: Denckers Arbeiten finden sich längst in Sammlungen in den USA, in Italien und Österreichs, auch in der Nürnberger Kunsthalle und der Bremer Weserburg. Und 2012 bekam er das Bundesverdienstkreuz. Der kleine Ruhm ist gekommen. PS

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