Portrait: Reif werden für den letzten Dienst am Menschen

An den Tod denkt niemand gern - Felix Frohn hat beruflich mit Toten zu tun. Der 18-Jährige macht seit einem Jahr eine Ausbildung zum Bestatter. Leichen waschen, anziehen und frisieren sind für ihn inzwischen ganz alltägliche Tätigkeiten. Mit anderen über seinen Job zu reden, ist dagegen nicht so leicht.

Als er zum ersten Mal einen Toten sah, sagt Felix Frohn, da zitterten ihm noch die Knie. Sein Kollege musste einen Sarg für eine Trauerfeier öffnen. Aber der Holzdeckel war ihm zu schwer. Frohn blieb nichts übrig, als mit anzupacken. Kurz darauf Erleichterung: Der Mann im Sarg sah so friedlich aus. Er reagierte nur nicht mehr auf Frohns Berührung. Und seine Haut war kalt.

Bestatter müssen für ihre Tätigkeit immer höher qualifiziert sein. Formal reicht ein Gewerbeschein zur Ausübung des Berufes, in der Praxis sind sie als Berater, Seelsorger, Schreiner oder Juristen gefragt. "Wer hier bestehen will, braucht eine solide Ausbildung und profundes Wissen", sagt Rolf Lichtner vom Bundesverband Deutscher Bestatter. Deswegen gibt es seit 2003 eine staatlich geregelte Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Sie dauert drei Jahre und endet mit einer Prüfung vor der Handwerkskammer. Auszubildende lernen unter anderem die unterschiedlichen Bestattungsgesetze der Bundesländer kennen, sie werden in Betriebswirtschaft und Marketing unterrichtet und beschäftigen sich mit der Bestattungsgeschichte verschiedener Religionen. Auch das Führen von Gesprächen mit Trauernden steht auf dem Ausbildungsplan. Der Beruf ist keineswegs so unbeliebt, wie man denken könnte: Jährlich konkurrieren etwa zwanzig Bewerber um einen Ausbildungsplatz, schätzt Rolf Lichtner. Im vergangenen Jahr waren in Deutschland 360 Auszubildende zur Bestattungsfachkraft registriert - dreißig von ihnen in Berlin.

Das ist zwei Jahre her. Frohn hatte gerade die Realschule bestanden. Ein einjähriges Praktikum sollte nun zeigen, ob er sich ein Leben als Bestatter würde vorstellen können. Er konnte. Frohn begann die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Seither dreht sich für den 18-Jährigen beruflich alles um den Tod.

Jetzt steht Felix Frohn in einem weiß gekachelten Kellerraum der Ahorn-Grieneisen AG in Charlottenburg. "Leichen-Kühlraum. Betreten für Unbefugte verboten" ist an einer Stahltür zu lesen. Die Bahre neben ihm ist durch ein weißes Tuch verhüllt, darunter zeichnen sich die Konturen eines menschlichen Körpers ab. Gleich wird der Azubi eine Tote waschen und für die Beerdigung vorbereiten.

Frohn trägt weißes Hemd und graues Jackett. Seine kurzen Haare sind mit Gel nach oben gekämmt, Portemonnaie und Handy bewahrt er in einer Aktentasche aus schwarzem Leder auf. Frohn sagt oft "man" statt "ich".

In zwei Jahren wird er seine Ausbildung mit einer Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer beenden. Innerhalb einer Stunde muss er dann einen Toten waschen, anziehen und in den Sarg betten. Heute assistiert ihm noch sein Ausbilder Tim Jütz. Gemeinsam ziehen die beiden Männer das Tuch zur Seite. Vor ihnen liegt eine Frau mit grauschwarzen Haaren. Eine Stütze aus Metall drückt ihren Kopf weit nach oben. Ihre Augen starren in den Raum. In ihrem weit geöffneten Mund fehlen Zähne, ihre Haut sieht grau und trocken aus. Frohn sieht auf dem Pappkärtchen am rechten Knöchel der Frau nach: Vor ihnen liegt Edeltraud Paeschke *, gestorben vor fünf Tagen. Jütz streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Tote trägt eine Windel um die Hüften. Synchron öffnen Frohn und Jütz die Klebeverschlüsse, wälzen den Rumpf der Frau nach rechts und links und ziehen dabei die Vorlage unter dem Körper weg.

Die beiden Bestatter kennen weder die Frau auf der Bahre noch deren Angehörige. Die werden von Kollegen in einer Filiale des Bestattungsunternehmens beraten. "In einer großen Firma kann man die Arbeit nicht anders bewältigen", sagt Felix Frohn. Etwa 250 Menschen organisieren in den Berliner Filialen von Ahorn-Grieneisen rund hundert Bestattungen in der Woche. Bundesweit beschäftigt die Firma etwa 1.200 Mitarbeiter.

In der zehnten Klasse der Realschule musste sich Felix Frohn mit seiner Zukunft beschäftigen. In einer Broschüre über Ausbildungsberufe las er zufällig den Abschnitt über Bestatter. Bestatter - da kann man alte Leute mit dem Leichenwagen schocken und den ganzen Tag im schwarzen Anzug herumlaufen, dachte Frohn damals. Er selbst trug zu dieser Zeit Irokesenschnitt und zerrissene Jeans. An den Wochenenden traf er sich mit seinen Freunden zum Saufen, "bis alle kotzten". Ein guter Schüler war er trotzdem.

Bei einem Schulpraktikum in einer Autowerkstatt merkte er dann: "Ich brauche etwas Kaufmännisches." Doch den ganzen Tag im Büro verbringen, das wollte er auch nicht. Was er über Bestatter las, klang nach der passenden Mischung: beraten und verkaufen, im Büro und im Freien arbeiten, handwerklich und geistig gefordert sein. Was Verantwortung ist, sagt Frohn heute, habe er erst während der Ausbildung gelernt. "In der Schule wurde einem ja alles serviert."

Am meisten mag er an seinem Beruf die Vorbereitung von Gestorbenen auf die Beerdigung. "Weil ich anderen so beim Trauern helfen kann." Menschen sollen im Sarg wie Schlafende aussehen - nicht, als hätten sie zum Schluss gelitten. Die Angehörigen sind beruhigter, wenn sie ihre Toten beim Abschied entspannt sehen, sagt der 18-Jährige. "So können sie ihre Trauer leichter aushalten und müssen sie nicht verdrängen."

Frohn hat Wasser in ein Aluminiumbecken eingelassen. Mit einem feuchten Lappen beginnt er, die Frau zu waschen: Bauch, Arme, Beine. Ekel verspürt er dabei nicht, sagt er, sondern Achtung. "Das ist immer noch ein Mensch. Sie hat ihr Leben nur schon hinter sich", sagt er.

Wenn Felix Frohn Leichen wäscht, fühlt er sich fast wie ein Krankenpfleger. Er weiß, wovon er spricht. Während des Praktikums, das ihn auf den Beruf vorbereiten sollte, hat er auch in der Altenpflege gearbeitet. Gerade deshalb will er beruflich lieber Tote als Lebende versorgen. "Sich monatelang um einen Menschen kümmern, und dann stirbt er - das ging mir zu nahe."

Frohn greift mit einer Pinzette einen Wattebausch und tränkt ihn mit Desinfektionsmittel. Damit fährt er innen an Edeltraud Paeschkes Mundhöhle entlang. Übel riechende Bakterien sollen die Angehörigen nicht irritieren, wenn sie am Sarg Abschied von der Toten nehmen.

Zu Hause sieht der Azubi Horrorfilme oder "Autopsie" - eine TV-Dokumentation, in der Pathologen ungeklärte Morde aufdecken. Freunde haben ihn schon oft gefragt, warum das Thema Tod auch in seiner Freizeit auftaucht. Etwas zögerlich sagt er dann: "Gute Frage. Ich habe aber noch keine Antwort." Er spielt gerne Gitarre, Sachen wie "Sharp dressed man" von ZZ Top. Obwohl: Für Rockmusik hat er inzwischen wenig Zeit.

Frohns Hobby, sagt er, ist seine Freundin. Seit Februar fährt er zu ihr nach Hamburg, sooft es geht. Gerne sitzt er ihr an den Wochenenden am Elbstrand. Die beiden haben sich im Internet getroffen: Da kann man das Kennenlernen leichter kontrollieren, sagt Frohn: "Ich bin eigentlich nicht schüchtern. Außer bei Frauen." Daran, dass er Tote berührt, will sie nicht denken. Ist es Ekel? Hat sie Angst? Frohn weiß es nicht: "Sie respektiert meine Arbeit. Sie will auch wissen, was ich sonst im Beruf erlebe."

Gleichaltrige haben ihn schon "pervers und krank" genannt. Doch Frohn ist von seinem Beruf überzeugt und will sich das nicht von anderen zerstören lassen. "Ich bin kein Gruftie. Und auch kein Sensenmann, der sich abends neue Kunden holt." Später sagt Felix Frohn, dass er sich mehr gesellschaftliche Anerkennung für seine Arbeit wünscht.

Frohn befeuchtet Edeltraud Paeschkes Haare mit einem nassen Lappen. Dann greift er zu einer Flasche Shampoo "Frucht & Vitamin". Mit beiden Händen massiert er das Waschmittel in die Haare der Frau. Danach zieht er aus dem Waschbecken hinter sich einen Schlauch und spült ihr den Schaum vom Kopf. Das Wasser läuft über einen Abfluss in der Bahre ab. Mit langen Strichen kämmt Frohn die Haare von Edeltraud Paeschke. Beim Föhnen greift er immer wieder in ihren Schopf, um ihre Haare zu lockern. Im Raum riecht es nach Aprikosen-Aroma.

Schließlich tupft Frohn vorsichtig Edeltraud Paeschkes Körper mit Papierhandtüchern ab - die Haut Verstorbener reißt leicht ein. Dann setzt er eine Klammer aus Kunststoff unter ihren Hals. Diese schiebt das Kinn der Frau nach oben und schließt so den Mund - ein würdigerer Anblick, findet Frohn. Wenn die Tote Kleidung trägt, sieht man die Stütze nicht mehr.

Zuletzt bedecken Frohn und Jütz die Frau wieder mit dem weißen Tuch. Für ein Trauerkleid haben sich die Angehörigen von Edeltraud Paeschke noch nicht entschieden, und die Bestatter wollen Hinterbliebene nicht unter Druck setzen. Erst am Nachmittag werden Kollegen die Frau ankleiden und mit gefalteten Händen in einen Sarg legen.

Neben dem Vorbereitungsraum für die Leichen befindet sich das Sarglager. In der Halle brennt Neonlicht. An einem Kleiderständer in einer Ecke ein rosafarbener Damenanzug, daran kleben das Foto einer etwa 50-jährigen Frau und ein Zettel: "Haare ins Gesicht kämmen".

Kein Zwang zum Totenhemd

Verstorbene müssen nicht in Totenhemden beerdigt werden. Wenn die Angehörigen möchten, können sie auch die persönliche Kleidung ihrer Verwandten bringen. Felix Frohn freut sich, wenn er so etwas erlebt. Individuell gestaltete Beerdigungen sind ein Zeichen dafür, dass die Beziehungen auch zu Lebzeiten gut funktioniert haben.

Während seiner Arbeit als Berater in einer Filiale erlebt er oft das Gegenteil: "Viele Menschen wissen nicht, wie ihre Angehörigen sich ihre Beerdigung gewünscht haben. Sie wollen ihre Toten nur möglichst schnell unter die Erde bringen."

Damit ihn die traurigen Seiten seines Berufs nicht in seiner Freizeit begleiten, versucht er in seinem Leben klare Grenzen zu ziehen: "Ich mache auch im Kopf Feierabend", sagt er später. Nur selten misslingt ihm das, wie etwa vor wenigen Monaten. Damals bereitete er einen dreijährigen Jungen für die Beerdigung vor. Es fiel ihm schwer, zu begreifen, dass ein Kind in diesem Alter nicht herumtobt, sondern wie eine Porzellanpuppe vor ihm liegt. Während seiner Arbeit dachte er über die Trauer der Eltern nach. Zugleich traute er sich nicht, mehr über die Todesgründe herauszufinden. An diesem Tag schaltete er abends zu Hause nicht wie häufig Metal-Musik ein, sondern hörte Mendelssohn-Bartholdy. Später sprach er lange mit seinen Eltern.

Mit ihnen hat Frohn auch über den Tod gesprochen - vor ein paar Wochen beim Kaffee. Er hat ihnen Kataloge aus dem Bestattungshaus gezeigt. Jeder hat sich für individuelle Kleidung und einen Sarg entschieden. Und Felix Vater suchte sich als Trauerlied "Reise, Reise" von Rammstein aus. An jenem Nachmittag hat Familie Frohn sogar oft gelacht. Seitdem ist Felix ruhiger: "Wenn ich einmal jemanden aus meiner Familie beerdigen müsste, könnte ich seine Wünsche erfüllen."

* Name geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.