■ Portrait: Geld und Gewalt
Als „linker Mäzen“ und erfolgloser Vermittler im Konflikt um die Hafenstraßen-Häuser, die er 1987 der Hansestadt zum symbolischen Preis von „einer Mark“ abkaufen wollte, geriet er in die Schlagzeilen: der heute 43jährige Jan Philipp Reemtsma, Millionen-Erbe, Initiator und Finanzier des 1984 gegründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung, Förderer emanzipatorischer Projekte und Literaturwissen-schaftler mit besonderer Begeisterung für den Schriftsteller Arno Schmidt, dem Reemtsma seine Stiftung widmete.
An der Hamburger Universität (die ihm seine Habitilation versagte) dozierte Reemtsma über Wieland und Kleist. Der „Philologe aus Leidenschaft“ schrieb Bücher „über den Stil des Boxers Muhammad Ali“ ebenso wie „zur Analyse des Herrschaftsinstruments Folter“.
Links sozialisiert, mit Wohngemeinschafts- und Politerfahrungen als Mitglied einer trotzkistischen Gruppe bekam Reemtsma mit 25 Jahren die Verfügung über das Vermögen seines Vaters, dem bekannten Tabak-Konzernchef, der im Nazionalsozialismus über seine guten Connections zu Hermann Göring zu einem der führenden Industriellen Deutschlands aufgestiegen war.
Daß sich das von ihm gegründete Institut vor allem mit den Ursachen und der Rolle der Gewalt im Zivilisationsprozeß des 20. Jahrhunderts, mit Wehrmachtsverbrechen und Massenvernichtung beschäftigte, wollte Reemtsma nicht als Buße für die Vergangenheit seiner Familie verstanden wissen. Mit den dreistelligen Millionenbeträgen, die er aus dem Verkauf seiner Mehrheitsanteile an die Tchibo-Kette zog, half er dem feministischen Archiv „FrauenMediaTurm“ (Initiatorin: Alice Schwarzer) in Köln per Anschubfinanzie-rung von zwei Millionen Mark auf die Beine, unterstütze er Gremlizas Konkret und rief die „Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte“ ins Leben.
Erhebliche Medienresonanzbescherte dem medienscheuen Reemtsma („Keine Fotos bitte“) der Versuch, deutsche Unternehmen, die im „Dritten Reich“ von der Zwangsarbeit der Häftlinge des KZs Neuengamme profitiert hatten, zur finanziellen Beteiligung am Ausbau der dortigen Gedenkstätte zu bewegen. Keine Resonanz zeigte sich bei den angesprochenen Unternehmen, die – fast ausnahmslos – die Hilfe für die Gedenkstätte ablehnten.
In Reemtsmas Biographie spielen die Themen Gewalt und Geld eine zentrale Rolle: Die Art und Weise, wie der Millionen-Erbe im vergangenen Monat das Opfer dieser beiden Drogen der Zivilisation wurde, ist bittere Ironie des Schicksals.
Marco Carini
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