Portrait Silvia Neid: "Wir gehen bis ins kleinste Detail"
Bundestrainerin Silvia Neid und das Geheimnis ihres Erfolgs: Fit, geschlossen und akrybisch in der Vorbereitung. So zog ihr Team mit 19:0 Toren ins Finale.
SCHANGHAI taz Einen allseits bekannten Kosenamen, wie ihn die Großen haben, "Klinsi" oder "Jogi", hat Silvia Neid nicht. Die Trainerin, die die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen am Sonntag ins Endspiel der Weltmeister gegen Brasilien führt, ist wohl nicht der Typ dafür. Nur die älteren Spielerinnen wie Birgit Prinz und Sandra Smisek nennen sie "Silv". Ähnlich nüchtern agiert sie in der Öffentlichkeit. Wenn Silvia Neid über die Verfassung ihrer Elf spricht, schützen sie meist Tisch und Barriere. Sie sagt dann oft, dass die Mannschaft sehr "kompakt" gestanden habe und sie keine Veränderungen in der Startelf vornehmen werde.
Die deutsche Nationalmannschaft muss in diesen Tagen merkwürdige Fragen beantworten. Ob sie nach dem Finale tanzen werde, was sie gerne nascht und welchen Anzug sie am Sonntag anziehen werde, wird etwa Trainerin Silvia Neid gefragt. Die Fragen stellt eine kleine, unscheinbare Reporterin, die für ein großes, lautes Blatt arbeitet. Die Reporterin hat Glück, in Schanghai überhaupt dabei zu sein, denn fast hätte die Bild-Zeitung die Frauenfußball-WM verpasst. Der Sportredakteur von Bild, Walter M. Straten, plauderte vor einem Monat eher beiläufig mit Franz Beckenauer. Der verriet ihm seine Flugziele der nächsten Tage. Schanghai befand sich unter anderem auf der Reiseroute. Franz, was machst du denn bei den Chinesen?, fragte Straten.
Der Säulenheilige des deutschen Fußballs klärte Bild auf: Er sei in China, weil er dem WM-Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Argentinien beiwohne. Seitdem gibt es täglich Schlagzeilen über "Baller-Birgit", "Wirbel-Sandra" und "unsere Mädels". Die Bundestrainerin hat durchaus ein Faible für seichte Fragen. Sie beantwortet sie ohne Murren. Neid hat kein Problem, exklusiv mit Bild zusammenzuarbeiten. Gern hat sie noch zwanzig Minuten Zeit für ein Millionenpublikum aus Deutschland.
Anders Jürgen Klinsmann. Der bestimmte die Spielregeln im Umgang mit den bunten Blättern. Der frühere Bundestrainer verweigerte sich dem Gossenjournalismus. Er wollte sich nicht zum Popanz machen lassen, weswegen ihn der Boulevard gern aus dem Amt geschrieben hätte, allen voran Walter M. Straten. Neid kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Frauenfußball ist ein Sport von Amateuren, die Publizität ist gering. Nur alle vier Jahre rückt er in den Fokus - wenn Weltmeisterschaft ist und die Deutschen ins Finale kommen.
Warum auch? Die DFB-Auswahl schickt sich an, zum zweiten Mal hintereinander Weltmeister zu werden. Die 4-4-2-Formation ist so dicht wie die Chinesische Mauer. Mit einem Torverhältnis von 19:0 sind Neids Ballfrauen ins Endspiel eingezogen. So etwas hat es in der kurzen Geschichte des Frauenfußballs noch nicht gegeben. Was ist das Geheimnis dieser Mannschaft? "Geschlossenheit", sagt Silvia Neid und lächelt keck. "Jeder rennt für jeden. Niemand ist sich zu schade, für den andern einzustehen und zu arbeiten."
Darin liegt der Schlüssel zum Erfolg, aber auch in der Fitness. Ein Fitnesstrainer wurde vom DFB bezahlt, ebenso ein Mental Coach. Knapp zehn Wochen trainierte Neids Auswahl auf die WM hin. Es hat sich gelohnt.
Während gegnerische Mannschaften im Laufe des Turniers an Substanz verloren, ist die deutsche Auswahl fit wie eh und je. "Wir wussten im Vorfeld, dass es ein sehr, sehr anstrengendes Turnier wird, also haben wir Vorkehrungen getroffen", sagt Neid. Aber es ist nicht nur die Kondition, die stimmt. Neid coacht nach eigenem Bekunden auch ein schlaues Team. "Wir gehen in den Analysen bis ins kleinste Detail, aber wir haben eine sehr intelligente Mannschaft, die alles aufnimmt", sagt sie.
Auch deshalb konnte Silvia Neid schon nach dem Vorrundenspiel gegen England einen persönlichen Erfolg verbuchen. Ihr Vertrag wurde per Handschlag von DFB-Chef Theo Zwanziger verlängert. Neid darf bis 2011 Bundestrainerin bleiben. Das Angebot hätte auch beim Aus im Viertelfinale gegolten. "Sie macht eine ganz ausgezeichnete Arbeit", sagt Zwanziger: "Die werden ja von Spiel zu Spiel besser, man glaubt es kaum." Im Halbfinale wurde der Favorit Norwegen mit 3:0 geschlagen. "Wer hätte das gedacht", sagt Zwanziger.
Als ehemalige Angreiferin des TSV Siegen hat Neid diesen Stil geprägt. Sie hat 111 Länderspiele auf dem Konto und ist dreimal Europameisterin geworden. Fast in jedem zweiten Länderspiel hat die heute 43-Jährige einen Treffer erzielt. Sie ist so etwas wie der Pionier des deutschen Frauenfußballs. Sie "wurde zum ersten Aushängeschild des deutschen Frauenfußballs und geradezu zum Synonym für ihre Sportart", heißt es in einem Porträt der Munzinger-Datenbank. Als im Oktober 1982 der Fußball-Bund nach Jahrzehnten des Zauderns und der Verbote sein erstes Frauenländerspiel ausrichtete, da war Neid mit gerade mal 18 Jahren dabei und erzielte als Einwechselspielerin gegen die Schweiz zwei Treffer; das Spiel ging 5:1 für die Deutschen aus.
Nach Neids Karriereende wurde sie Assistentin von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer. 2005, nach der Europameisterschaft übernahm Neid den Chefposten. "Es kann keine andere geben", sagte Theune Meyer damals. Seitdem hat Neid das Team verjüngt. Die Neuen wie Fatmira Bajramaj, Simone Laudehr oder Melanie Behringer siezen die Cheftrainerin, ihre früheren Mitspielerinnen Prinz oder Smisek dürfen sie weiter duzen.
Die Stürmerin, die zur Trainerin wurde, hat dennoch keine Probleme, sich durchzusetzen. Das war gut im Halbfinale zu beobachten, als sie unzufrieden war mit der Leistung von Smisek im Sturm. Per Zeichensprache machte sie klar: Wenn Smisek so weiterspiele, müsse sie mit einer Auswechslung rechnen. Prompt beschleunigte Smisek ihren Gang. Neid scheint beide Rollen spielen zu können, die der Freundin und die der Respektsperson. "Was sie sagt, wird gemacht", sagt Kerstin Garefrekes, "sie gibt klar zu verstehen, was sie stört." Den Konkurrenzkampf schürt Neid nach einem bewährten Prinzip: Alle Positionen im Kader sind doppelt besetzt, ähnlich wie bei Jürgen Klinsmann.
Doch sie hat nun sogar das Finale erreicht. Es wird schwer. "Das wird ein richtiges Knallerspiel, die haben einiges drauf", sagt Neid und meint vor allem die famose Marta Vieira da Silva, genannt Marta, die im Semifinale gegen die USA mehr für den Frauenfußball getan hat als sämtliche Funktionäre des Weltverbandes Fifa. "Das wird ganz eng", glaubt Silvia Neid. Für diesen Fall hilft sicher ein bisschen Aberglaube. Angeblich vertraut die Bundestrainerin auf zwei Glücksbringer. "Ein kleines Plüsch-Schäfchen und eine Kette." Ganz so nüchtern ist sie nicht.
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