Portrait Samuel Finzi: Der Beste beider Welten
Für Schauspieler Samuel Finzi sind Wechsel zwischen E- und U-Kultur selbstverständlich. Nun startet die zweite Staffel seiner Krimiserie "Flemming" (21.15 Uhr, ZDF).
Am Tag vor seinem 45. Geburtstag sitzt Samuel Finzi in einem jener demonstrativ angeranzten Cafés in Prenzlauer Berg und seufzt: "Mich hat der Weltschmerz gepackt." Er schaut vor sich auf den Tisch, die Hände übereinander gelegt, die schwarze Achtziger-Jahre-Brille hat er abgesetzt. "Die Hälfte ist jetzt vorbei. Was kann da noch kommen?" Er bestellt erst einmal noch einen Espresso.
Ein seltsam trüber Moment. Immerhin hatte der Schauspieler seit seinem letzten Geburtstag einen bemerkenswerten Lauf. Spätestens seit er im Spätsommer auf einmal auf Plakaten, in Zeitschriften, in Fernsehwerbeblöcken als Gesicht der Werbekampagne einer Versicherung zu sehen war, scheint er überall präsent zu sein.
Anfang Februar lief Til Schweigers "Kokowääh" im Kino an, mit Finzi in der Neben-Hauptrolle. Gleichzeitig steht er derzeit im Zentrum von vier Inszenierungen an Berliner Theatern. Bald steht er für Peter Sehrs "Ludwig II" vor der Kamera, mehr Filmprojekte als zuvor sind in Vorbereitung. Und nun startet im ZDF auch noch die zweite Staffel über den Polizeipsychologen Vincent Flemming.
Flemmings Spezialität: Er kann in jeder Mimik, jeder Geste lesen. Und so das sehen, was nicht gesagt wird - "Flemming" ist das deutsche "Lie to me". Der Einsatz schon minimalster Regungen, das ist Finzis Spezialität. "Sprache ist wie Musik", sagt er. "Sie geht am direktesten durch den Körper."
Was immer er erzählt, sein ganzer Körper erzählt es parallel noch einmal. Er lehnt sich weit in seinen Stuhl zurück. Zieht eine Augenbraue hoch. Kneift die grünen Augen zu Schlitzen, bis vom Grün nichts mehr zu sehen ist, nur um im nächsten Moment in ein kindliches Kichern zu verfallen. Legt seinem Gegenüber die Hand auf den Arm, als ob sich so der Stromkreislauf der Gedanken besser schlösse. Und so spielt er auch. Er denkt seine Figuren vom Körper her. Was wie ein Schauspielerklischee klingt, trifft auf ihn in einer Weise zu, dass man denkt, er muss es erfunden haben.
"Die meisten funktionieren nur", meinte Finzi einmal in einem Interview über Schauspielerkollegen. "Die erfüllen. Erfüllen Texte, Anweisungen." Regisseur Marc Meyer, der ihm 2007 in "Wir sagen Du! Schatz" die erste Kinohauptrolle in Deutschland verschaffte, erinnert sich an Finzi: "Er nutzt seinen Körper als Instrument. Die Grenze zwischen Spiel und echt löst sich bei ihm auf."
Ein "Versicherungsvertreter"
Til Schweiger-Film hier, Ergo-Werbung dort, ganz schön viel Blockbuster-Präsenz für einen, der dem bundesweiten Publikum wohl nur aus der ersten Staffel des Freitagabendkrimis "Flemming" bekannt sein dürfte.
Der Rest, der ihn vor allem im ernsten Bühnenfach oder in Programmkinofilmen sah, war verwirrt. Die Feuilletons ätzten über den "Versicherungsvertreter", der Schweiger-Film tauchte nur am Rande auf, Kulturjournalisten fragten sich, was Finzi da geritten hat. Dies ist der Moment, an dem Samuel Finzi tatsächlich etwas aggressiv wird, lauter spricht, sich aufrichtet. In seiner grauen Strickjacke und den Jeans mit den Rissen und Löchern wirkt er auf einmal nicht mehr lässig, sondern zupackend.
Dass diese Jobs nicht für alle nachvollziehbar waren, spielt keine Rolle. Wieso immer alle auf Schweiger schimpfen, macht ihn wütend. "Ich respektiere seine Besessenheit", sagt Finzi. "Er zeigt jede Woche den Stand der Dinge, er schneidet am Set in den Pausen." Er wünsche allen Kollegen, einmal bei einer Schweigers-Produktion mitzuarbeiten, so gut fühlte er sich betreut: "Das ist ein Luxusdampfer". Basta.
Und das mit der Versicherungswerbung: reiner Zufall, erzählt Finzi. Seine Freundin, mit der und dem gemeinsamen kleinen Sohn er in Berlin lebt, organisiert Castings - und eben auch für diesen Spot. Das Geld, das er mit der Werbung innerhalb weniger Tage verdiente, erlaube ihm, wählerischer zu sein: "Das erspart mir die Peinlichkeit, in TV-Filmen Zeilen aufzusagen, die ich fürchterlich finde. Stattdessen nehme ich eben das Geld direkt von der Quelle"; er zuckt mit den Achseln, ist doch nichts dabei.
Regisseur Marc Meyer sieht Finzi in dieser Bandbreite zwischen Blockbusterkomödie, Werbung und Gotscheff-Inszenierungen allen ein Schnippchen schlagen: "Er führt vor: Das widerspricht sich nicht - diese Unterteilung in E und U ist absurd." In der Tat fällt einem spontan keiner in Deutschland ein, der ähnlich divers aufgestellt ist.
"Es hat mich gereizt, genau das zu machen, bei dem klar war, dass alle mit mir schimpfen werden." Finzi sagt es mit einer diebischen Freude, einem Trotz, man glaubt ihm sofort. So pendelt er auch seit Jahren zwischen Volksbühne und Deutschem Theater, eine Ausnahme in der Theaterszene, die Intendanten lassen ihn machen. "Samuel kann man nicht an einer Stelle fesseln", man habe "mehr von ihm, wenn man ihn fremdgehen lässt", schrieb Regisseur Dimiter Gotscheff über ihn.
Helden in Bulgarien
"Ich war immer gut für Regelbrüche", sagt Finzi. "Sobald jemand versucht, mich in ein System zu stecken, breche ich aus." Und so brach er auch aus seinem ersten Leben aus, in dem rigide Verbote und Regeln staatlich verordnet waren: Geboren wurde er in Bulgarien, der Vater Schauspieler, die Mutter Pianistin, beide berühmt. Filmregie wollte er studieren, und da es das in dem Jahr nicht gab, studierte er eben zwei Jahre Schauspiel. "Ich wäre am liebsten aus meiner Biografie ausgestiegen und ein Niemand gewesen", sagte er einmal über diese Zeit.
1988 tat er es, dank der beginnenden Perestrojka schaffte er es nach Paris, dann nach Berlin. Frisch in Deutschland, hangelte er sich durch, kämpfte mit der Sprache, die sein Körper nicht "fühlte", wie er es ausdrückt; die Grundmelodie jener Zeit war: Ich werde nicht verstanden. Finzi jobbte, mal hier, mal da, nur um in Berlin bleiben zu können. "Dann hat sich Gotscheff gemeldet." Er war Finzis Rettung. Dimiter Gotscheff also, "Mitko", zehn Jahre älter als Finzis Vater Itzhak, ebenfalls aus Bulgarien. Sie ließen bis heute nicht voneinander. "Nicht einmal Gotscheff hat etwas gesagt", über Ergo, "Kokowääh": Das ist die Währung, die für Finzi zählt.
Finzi und Gotscheff sind Helden in Bulgarien. Es kann vorkommen, dass sie dort live in den Abendnachrichten interviewt werden, und wenn die beiden ein Gastspiel geben, kommen Bürgermeister und Minister auf die Bühne, um zu gratulieren. Finzi lacht, er winkt ab: "Es ist ein kleines Land. Wenn einer im Ausland arbeitet, heißt es sofort: Oh, er hat's geschafft!"
Gerade hat Finzi sogar einen Brief aus Bulgarien bekommen, der Kulturminister schrieb, "Hallo Freunde …", er gratulierte zum Berliner Theaterpreis, den er im Mai mit "Mitko", seinem Freund und Bühnenkompagnon Wolfram Koch und Almut Zilcher verliehen bekommt. Dieses Trio ist die Konstante in Gotscheffs Inszenierungen. Die Jury sah "eine Familie" und ihre "epochalen Aufführungen". Eine ganze Gruppe wurde noch nie prämiert.
Ihre Arbeit sieht man derzeit in "Der Mann ohne Vergangenheit" im Deutschen Theater, der Bühnenadaption des gleichnamigen Kaurismäki-Films: Sie ist wie geschaffen für Finzi, der darin vier Rollen hat. Als Erzähler im engen Anzug mit Schlag spricht er innerlich explodierend den Eröffnungsmonolog. Er ist auch die aufmerksamkeitsbedürftige Nutte mit dem lässigsten Kontrapost, die gelangweilte Bankangestellte, der freundliche Nebenbuhler. Diese Figurminiaturen, diese Veränderungen in Sekundenschnelle, sind Finzis Ding. Ein "Gaukler" eben, wie Gotscheff einmal über ihn sagte.
Seit Finzi selbst Vater ist, zieht sich eben diese Rolle durch seine Film- und Fernsehrollen. In der zweiten Staffel "Flemming" bekommt Finzis Figur so eine ernsthaftere Facette: Ann Gittel, gespielt von Claudia Michelsen, Ex-Frau von Flemming und seine Kollegin, bekommt ein Kind. Von ihm. In "Kokowääh" spielt er einen Vater, in "Die Besucherin" auch, nicht zu vergessen die Figur des einsamen Oliver Eckstein, der sich in Meyers "Wir sagen Du! Schatz" kurzerhand zum "Papa" ernennt und sich eine Familie zusammenkidnappt. Auch in der Werbung gab Finzi den Familienvater, umgeben von Bobbycar und dreckstarrenden Kinderstiefeln. Vielleicht ist er jetzt einfach in diesem Rollenalter.
Aber für Finzi ist das ein Erfolg. Endlich wird er nicht mehr nur entlang seines leichten Akzents besetzt. Sein "g" ist butterweich, das "s" stimmhaft, Endungen auf "t" und "te" ungewohnt akkurat hart prononciert. Und dieses leicht heisere Sprechen, das klingt, als würde ein Stimmband schwächer schwingen als das andere. Lange hieß er in Filmen und Serien nur Mirko, Jerzy, Miroslav, war Sowjetischer Botschaftssekretär, meist ganz abstrakt Osteuropäer, latent kleinkriminell. Nun heißt er Norbert, Tristan. Oder Vincent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!