Porträt: Der Olympia-Verweigerer
Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gab es in Deutschland so etwas wie ein Wiederbelebung der goldenen Zeiten des Boxsports. Dafür standen Namen wie die Klitschko-Brüder, Dariusz Michalczewski oder Graciano Rocchigiani. In dieser Zeit wuchsen im Hamburger Universum-Boxstall zwei junge Kämpfer heran, die den Nachglanz dieser Zeit heute noch etwas auskosten und sich im verwirrenden System der vielen Verbände, Gewichtsklassen und Titel noch Weltmeister nennen dürfen: Felix Sturm und Jürgen Brähmer.
Beide wurden einst vom jetzigen Schweriner Stützpunkttrainer Michael Timm gecoacht.Während Sturm immer so etwas wie der Musterschüler war, erwarb sich der Schweriner Brähmer den Ruf des Problemkindes: Erfolge, Niederlagen, Comebacks, Straftaten, Prozesse und in der Frühzeit der Karriere auch Gefängnisaufenthalte. Wegen dieses Schlingerkurses haftete dem gelernten Schweißer früh das Etikett des bösen Buben an.
Manchmal hatte man den Eindruck, je mehr er dagegen anboxte, desto mehr verfestigte sich das Image. Ein anderes – positives – Stigma machte ihm den sportlichen Werdegang auch nicht leichter. In einem unbedachten Moment bezeichnete ihn der ehemalige Universum-Chef Klaus-Peter Kohl als „Jahrhundert-Talent“. Seitdem erwartete jeder, dass er seine Gegner einfach umhaut.
Seinen ersten WM-Titel gewann der vom Supermittel- ins Halbschwergewicht gewechselte Boxer allerdings, ohne überhaupt in den Ring zu steigen, als sein damaliger Kollege Zsolt Erdei diesen 2009 freiwillig niederlegte, um ein Stallduell zu vermeiden. Nach einer Serie von Verletzungen wurde Brähmer dieser Titel 2011 allerdings selbst wieder aberkannt.
Ein Jahr später wechselte er vom darniederliegenden Universum-Stall zur Sauerland-Firma nach Berlin. Und Ende 2013 erkämpfe er sich dann das erste Mal gegen Marcus Oliveira den WM-Titel der WBA. Seitdem ist Kontinuität in die Karriere des 37-Jährigen eingezogen. Der Kampf gegen Eduard Gutknecht in Neubrandenburg am kommenden Samstag ist bereits seine sechste Titelverteidigung.
In der Sportwelt konnte Brähmer allerdings schon im Vorfeld des Kampfes punkten. Als der deutsche Box-Verband (DBV) ihm anbot, bei den Olympischen Spielen in Rio zu starten, lehnte er freundlich ab. „In Schwerin habe ich, während meiner eigenen Wettkampfvorbereitungen, fast täglich mit den Amateuren zu tun“, sagte er. „Das sind junge Kerle, für die momentan Olympia das große Ziel ist – darauf bereiten sie sich seit vier Jahren vor. Wieso soll ich diesen Jungs die Chance nehmen, sich ihren Traum zu erfüllen?“ Damit sollte der Imagewandel endgültig vollzogen sein. rlo
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