Porträt: Der jung Abgeworbene
Eigentlich ist der Wechsel des 19-jährigen Abwehrspielers Jonathan Tah vom Hamburger Sportverein zu Bayer Leverkusen eine ganz normale Sache. Vorbei sind die Zeiten, in denen talentierte Spieler in ihrem Ausbildungsverein die ersten Gesellenjahre verbringen, um ihre Bundesligatauglichkeit zu beweisen, bevor sie von den Spitzenklubs abgeworben werden.
Auf dem Transfermarkt sorgt es kaum noch für Gesprächsstoff, wenn ein junger Mann mit gerade mal 16 Bundesligaspielen auf dem Buckel für 7,5 Millionen Euro plus Erfolgsprämien den Verein wechselt. Auch wenn er wie Tah, der in der vergangenen Saison an Fortuna Düsseldorf ausgeliehen war, sowohl in der 2. Liga als auch in der U19-Nationalmannschaft, die bei der EM in Griechenland nach der Vorrunde ausschied, noch reichlich Entwicklungspotenzial zeigte.
Bemerkenswert wird der Deal dadurch, dass er die brisante Transfergeschichte vom HSV und Bayer Leverkusen um ein Kapitel bereichert. In den letzten beiden Sommern wechselten Heung-Min Son und Hakan Calhanoglu nach genauso langwierigem Transferpoker wie nun im Fall Tah von der Elbe an den Rhein. Im Gegenzug sicherte sich der HSV Abwehr-Routinier Emir Spahic, den Leverkusen wegen einer Disziplinlosigkeit aussortiert hat.
Am meisten schmerzt die Hamburger aber, dass mit Tah wieder ein Hoffnungsträger aus dem eigenen Stall das Weite sucht. Noch dazu einer, der in der Nachbarschaft bei Altona 93 aufgewachsen ist. Nach Uwe-Seeler-Enkel Levin Öztunali, der schon mit 17 Jahren zu Leverkusen wechselte und Maximilian Beister, den der HSV gerade wegen Stagnation in der Entwicklung aussortiert hat, ist Tah der dritte große Talentverlust in zwei Jahren. Das ist besonders bitter für einen Klub, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, mit dem eigenem Nachwuchs wieder aus der Talsohle herauskommen zu wollen.
Inzwischen habe sich herumgesprochen, dass Leverkusen eine gute Adresse für junge Spieler sei, die sich entwickeln möchten, erklärte Tah, der den Wechsel nach Angaben der HSV-Verantwortlichen selbst vorangetrieben hat. Der HSV braucht wohl noch ein paar Jahre, bis solche Sätze wieder über ihn gesagt werden.
Bis dahin wird es wichtig sein, das eingenommene Geld sinnvoller zu reinvestrieren, als es mit den Erlösen der Son- und Calhanoglu-Transfers gelang. Es ist ein gutes Zeichen, dass Manager Pete Knäbel sich um entwicklungsfähige Spieler wie den Österreicher Michael Gregoritsch (21) und den Dänen Emil Berggreen (22) bemüht, statt Investor Klaus-Michael Kühne nochmal um horrende Mittel für „fertige“ Spieler oder abgehalfterte Stars zu bitten. RLO
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