Porträt Martine Aubry: Sozialistin - mit Herz und Verstand

Die Bürgermeisterin von Lille und frühere Arbeitsministerin Martine Aubry bewirbt sich um die Führung von Frankreichs größter Oppositionspartei.

Will neue Parteichefin werden: Martine Aubry. Bild: reuters

Ach ja, die Tochter von Jacques Delors …" Praktisch kein Tag vergeht, ohne dass Martine Aubry diesen Satz zu hören bekommt. Mit der Zeit hat die heute 58-Jährige gelernt, damit zu leben. Sie versteht sich bestens mit ihren Eltern, und die politische Karriere ihres Vaters, der Minister und vor allem Vorsitzender der EU-Kommission war, ist mittlerweile schon fast Geschichte. Sie hat dennoch nach der Scheidung den Namen ihres ersten Gatten behalten. Und in der Politik hat sie sich als mehrfache Ministerin und Bürgermeisterin der nordfranzösischen Stadt Lille längst einen eigenen Namen gemacht. In ihrer Familie aber ist sie schon von klein auf in die Politik gefallen wie Obelix in den Zaubertrank. Die Arbeiterkultur und die Grundwerte eines christlich inspirierten Sozialismus im Pariser Elternhaus prägten sie ebenso wie das fast natürliche Engagement bei den Sozialisten.

Nach dem Studium der politischen Wissenschaften in Paris absolvierte sie die Verwaltungshochschule ENA und war damit auf dem direkten Weg zu einer Karriere als Diplomatin, Präsidentenberaterin oder Leiterin eines Staatsunternehmens.

Doch sie wählte einen weit weniger renommierten Start im Arbeitsministerium. Im Jahr 1991 wurde sie zum ersten Mal Arbeits- und Beschäftigungsministerin. Wann immer die Sozialisten danach eine Regierung bildeten, war dieser Posten fast automatisch für sie reserviert. Ihre Unterschrift tragen die Gesetze zur Einführung einer umfassenden Krankenversicherung für Nichterwerbstätige und vor allem die 35-Stunden-Woche. Nicht nur deshalb ist das Image von Martine Aubry bei ihren Landsleuten umstritten. Sie gilt als hart und fast brutal, was sie selbst wundert: "Ich bin sehr geradeheraus, aber weit weniger hart als viele andere in der Politik. Ich bin im Gegenteil zu sensibel." Als sie 2002 bei den Parlamentswahlen ihr Mandat als Abgeordnete an einen bürgerlichen Gegner verlor, weinte sie live im Fernsehen.

Man mag sie oder eben nicht. Das ist aber der einzige Aspekt, in dem sie ihrer heutigen Konkurrentin Ségolène Royal gleicht. Von deren Vorstellungen einer Allianz mit dem bürgerlichen Zentrum und der Verwandlung der Partei in einen "Fanklub" der Präsidentschaftskandidatin distanziert sich Aubry ebenso entschieden wie von Royals Starallüren. Damit hat sich Aubry als Kompromisskandidatin aller Royal-Gegner qualifiziert. Die Rolle der Spielverderberin im Duell mit Royal akzeptierte Aubry beim Kongress von Reims mit grimmiger Entschlossenheit. Nach ihrer Wahl zur Parteichefin möchte sie beweisen, dass sie weit mehr ist als der gemeinsame Nenner der "Alles, bloß nicht Ségolène"-Front.

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