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Populismen

Jelzin demonstriert Demokratie in Moskau  ■ K O M M E N T A R E

Die beeindruckende Massendemonstration in Moskau kann über die wirklichen Kräfteverhältnisse auch täuschen. Sie zeigt zwar die Stärke der demokratischen Opposition, aber sie spitzt die Konflikte auch zu und macht so die Fronten präzise. Auf der Massenversammlung hatte sich Jelzin unmittelbar an „das Volk“ gewandt. Eine derartige populistische Argumentation lag nahe: Jelzin ist vom Parteiapparat mehrfach gedeckelt worden, sein Wahlkampf wird trickreich behindert, er selbst ist von einem Ausschlußverfahren bedroht. So muß er als Einzelkämpfer öffentlichen Rückhalt suchen.

Diesen Rückhalt hat er bei den vielen, die sich in den neuen Bewegungen und informellen Gruppen organisiert haben und denen sein radikales Engagement und seine Unbestechlichkeit imponieren. Jelzin ist von den notwendigerweise taktierenden Reformern nicht vollständig zu bändigen, geschweige denn zu instrumentalisieren. So gerät auch der reformerische Teil der Partei in die Defensive. Populistisch argumentiert allerdings auch das konservative Milieu, das seine vorsichtige Identifikationsfigur in Ligatschow hat. „Das Volk“ wird in ihm als Einheit gedacht, in dem der einzelne aufgehen soll. Es geht hier um die Größe Rußlands beziehungsweise der Sowjetunion - so weit sie russisch ist. Ein Mehrparteiensystem ist von diesem konservativ-populistischen Standpunkt aus undenkbar: Es würde die Einheit des Volkes auflösen und den Staat schwächen.

Aber selbst Gorbatschow muß gegen das Mehrparteiensystem sein. Die Reform des autoritären Systems ist paradoxerweise nur mit autoritären Mitteln durchzusetzen. Die Aussage Jelzins, er wolle nur eine Diskussion und in drei bis vier Jahren eine Volksabstimmung über das Mehrparteiensystem, kann die Besorgnisse daher nicht zerstreuen, sondern nur verstärken. Jetzt gerät das Parteiestablishment in Panik. Die Moskauer Demonstration zeigt damit das Paradox des sowjetischen Umbaus in aller Schärfe: Die Demokratisierung ernst zu nehmen heißt immer auch, sie zu gefährden.

Erhard Stölting

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