■ Anzeigen akquirieren mit „Spex“: Neuester Turnschuh liest alles!: Poplinke mit Goldkante
„Für eine Erscheinung wie RAMMSTEIN, ein herrisches Hörbild kratzschrubbenden Blutsturzes pfeifender und knallender Paukisten des Gottseibeiuns unterm Galgen armloser Gehenkter auf dem kahlen Berg um Mitternacht, während neben purpurnen Blutlachen tausendfarbig schillernde Pfützen frisch geopferten Maschinenöls glitzern, für SOWAS: fehlen journalistische Kategorien. (...) Kreischende, rostige Metallspinnen, groß wie Häuser, die mit Eiter verklumpten Stacheldraht scheißen?“ So eiterte und klumpte es im Oktober 1997 direkt aus Spex heraus, dem nach eigener Auskunft „Magazin für Popkultur“, das sich früher, also auch nicht besser, im Untertitel „Musik zur Zeit“ nannte.
Die Feststellung, daß Spex ein elaboriert verquaktes, gespreiztes Angeberblatt ist, kann längst nicht mehr als neuere Erkenntnis gelten. Wirklich lustig aber wurde es, als mir – ebenfalls im Oktober 1997 – Volkskommissar Zufall jenes Papier in die Hände spielte, das die mit ihrer Unabhängigkeit und Dissidenz ständig so unangenehm prahlende Spex zum Werbekundenfang einsetzt: „Anzeigentarife und Selbstdarstellung (1997)“, ist das Dokument betitelt. Und da stehen richtig prima Sachen drin.
„Viele, die als Schüler oder Studenten schon die legendären, großformatigen Schwarzweiß-Nummern gelesen haben, sitzen heute an exponierten Stellen in der Musik- und Medienindustrie, vergeben Etats, erfinden Kampagnen ... und lesen natürlich immer noch Spex – die einzig ernstzunehmende Instanz in Sachen Popkultur“, schreiben die Spex-Werber, die es wissen müssen: Der lange Marsch in den Arsch ist beim Verein für Poplinke e.V. offenbar sogar noch kürzer als bei ihren Kollegen vom Non Pop. Der Wink mit dem wichtigen Job in der Agentur oder bei der Plattenfirma klingt wie der legendären „Ado-Gardinen“-Werbung nachempfunden: „Achten Sie auf die Goldkante – es lohnt sich ...“
Genauso geht das weiter: „Zur Morgendämmerung der 80er Jahre gegründet, konnte Spex sich mit unvergleichlicher Kompetenz, Glaubwürdigkeit und ehrlicher Hingabe als unabhängige Musik- und Kulturzeitschrift etablieren“ – als wäre man bei einer Glaubwürdigkeitskompetenz-Butterfahrt, Eugen Drewermann und Ulrich Wickert inklusive. Offenbar aber hat man bei Spex dann doch Angst, potentielle Anzeigenkunden mit dem Jesus-Genöle von „Morgendämmerung“ und „Ehrlichkeit“ eher ins Bockshorn zu jagen, als zum Geldraustun zu animieren, und behauptet daher blank: „Spex erreicht weitaus mehr Leser als es die blanken IVW-Zahlen vermuten lassen. Eine Spex-Ausgabe – das belegt unsere Leserumfrage von 1994 – geht durch mehr als nur zwei Hände.“ Durch drei vielleicht, beim rituellen Einhandklatschen in Köln-Nippes oder Köln- Wahn? Aber wer will das wissen?
Der Kunde natürlich, dem deshalb ein herrliches Bild des „Spex- Lesers gemalt wird: „Spex-Leser gehen mit großer Bewußtheit durchs Leben: für ihre Ziele, ihre Haltung, ihren Stil. Spex-Leser wollen wissen, wie ES weitergeht – wie klingt die neue Musik, wie geht die neueste Theorie, wie sitzt der neueste Turnschuh?“ Mit Sigmund Freud gefragt: Wenn das ES Füße hätte – trüge ES dann Nike, adidas oder Puma? Oder wäre ES ein Barfußläufer und auf der Marathonstrecke unterwegs?
Wer dennoch Spex-Leser bleiben möchte, muß gerechterweise noch mehr leiden: „93 Prozent der Leser sind männlich, das Durchschnittsalter liegt bei 24 Jahren“, weiß das Spex-PR-Team; nun versteht auch der Letzte, warum es ausschließlich Jungmänner mit zu großer Plattensammlung auf nüchternen Magen und habituellem Mangel an Geschlechtsverkehr sind, die einen nach Konzertbesuchen ungebeten über angeblich okaye oder nichtokaye Musik vollschwadern – das sind Spex-Leser.
Die ihrerseits Spex lt. Umfrage vor allem für die „informativ, trendy und anspruchsvoll“ halten – wie sich selbst eben auch. Und dafür von den Spex-Anzeigen-Akquisiteuren das Lob des Todes bekommen: „Während andere Zeitschriften meist nur auf die für den jeweiligen Leser interessanten Stellen durchforstet werden, ist für einen Großteil der Spex-Käufer die gesamte Lektüre samt Anzeigen und Impressum eine Selbstverständlichkeit. Sie lesen alles.“ Selten wurde inferior gläubische und zugleich scholastische Pedanterie präziser beschrieben. Und wer noch immer nicht weiß, warum die Spex-Leser sich so in nichts unterscheiden von den armen Typen, die in ihrer Freizeit Bundesbahn- Fahrpläne oder Katechismen aller Art auswendig lernen, kriegt auch das noch gesagt: „Spex wird nicht oberflächlich geblättert, sondern gewissenhaft durchgearbeitet.“ Damit aus Stefan Streber auch ganz sicher Peter Primus wird.
Der zum Lohn auch einen seiner Bedeutsamkeit angemessenen Job bekommt, vielleicht sogar als Spex-Werbetexter: „Die Plattenbesprechungen sind Grundlage für den Einkauf sowohl der angesagtesten Händler als auch deren Kundschaft. (...) Spex leistet so die wichtige Aufbauarbeit, die neue Produkte brauchen, um sich langfristig im komplexen wie schnellebigen Markt der Jugendkulturen behaupten zu können.“ Für diesen brav verrichteten Job als Vorkoster klagt Spex bei den Nutznießern von der Industrie im Gestus von „Herr Lehrer, ich weiß was! Bitte! Bitte! Nimm mich doch dran!“ eine kleine Gewinnbeteiligung via Anzeige ein – was in der Mischung aus Klassenstreberei und Dumping-Tarif sehr an die Grünen erinnert, die sich ja auch schon so lange abgerackert haben, und die dafür um Belohnung betteln bei wahlweise SPD oder CDU: Huuh! Huuh! Wer uns kennt, nimmt Dissident! Es soll euer Schade nicht sein! Wir hätten auch Kompetenzen!
So finden, wie's bei Familie Sektenblatt Usus ist, auch bei Spex die aktiven wie die passiven Vertreter des autoritären Charakters fein zueinander: Redakteure und Schreiber, die gern Geschmacks- und Gesinnungschefs wären, und Leser, die genau diese Chefs brauchen, denen sie gemeinsam – und doch jeder für sich! – exakt dasselbe super unabhängige Zeug nachquasseln können. So kuschelig kann das Abweichen vom Mainstream sein. Wiglaf Droste
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