: Popanz ante portas
■ Le Pens Erfolge in Nizza und anderswo
Popanz ante portas Le Pens Erfolge in Nizza und anderswo
In Südfrankreich gehen die Uhren bekanntlich anders, aber inzwischen scheint sogar die Jahreszahl zu differieren. Es riecht nach Weimar. Da kommt, in der fünftgrößten Stadt Frankreichs wohlgemerkt, eine Partei auf 38 Prozent der Stimmen, die alle ethnischen Ghettos auflösen und sämtliche Sozialleistungen für Ausländer abschaffen will. Eine Partei, deren Führer noch am Wahltag die Talente des weißen Mannes im allgemeinen und Hitlers im besonderen gelobt hat.
Die Gruselmeldung ist so richtig wie falsch, und dennoch wahr. Bei der Teilwahl in Nizza ging es lediglich es um einen Posten, über den sowieso Ende März neu abgestimmt werden muß. Prompt blieben zwei Drittel der Wähler zu Hause. Und in absoluten Zahlen gemessen schrumpfte die Wählerschaft der „Front National“ sogar. Bei der Stichwahl am Sonntag wird die Kandidatin der dann vereinten Konservativen wohl gewinnen.
Aber auch wenn Nizza ein besonderes Pflaster ist; auch wenn sein geliebter Bürgermeister sich kürzlich nach Südamerika abgesetzt hat, weil ihm die Steuerfahndung auf den Fersen war — das Ergebnis vom Sonntag zeigt, in welchem Maße das politische System Südfrankreichs aus den Fugen geraten ist und wie leicht aus einer Panne ein folgenschweres Faktum werden kann. In den Mittelmeerstädten Frankreichs ist Politik seit jeher eine kunstvolle Mischung aus Bonapartismus und Klientelwesen, aus lautstarkem Populismus und stillem Poker. Doch Vetternwirtschaft bricht zusammen, wenn die Klientel nicht mehr bedient werden kann. Man kennt das von Puzzo: Ein Pate darf sich jeden Fehler leisten, nur einen nicht— Schwäche. Nun hat die Dezentralisierung die Provinzfürsten zwar gestärkt. Aber gleichzeitig wurde ihr Handlungsspielraum durch „Europa“ eingeschränkt, die Strukturkrise ihrer Lehen beschleunigt. Südfrankreich ist durch den Niedergang der Werften und Häfen, die Krise seiner Landwirtschaft angeschlagen und wird von einer Verschärfung der Lage im Maghreb als erstes betroffen sein.
Ein Beispiel. Im krisengeschüttelten Perpignan bleibt ein (rechter) Pate trotz eines vernichtenden Parlamentsberichts über seine Unterschlagungen im Amt, weil die Sozialisten im Gegenzug die Immunität für eines ihrer schwarzen Schafe ausgehandelt haben. Den Nutzen aus dem Filz wird der Kandidat Le Pens ziehen: ein von De Gaulle wegen Hochverrats zum Tod verurteilter Algerien-Kämpfer. Natürlich — Le Pen ist ein Popanz, eine Restgröße im politischen System, um so stärker, je schwächer die anderen. Und natürlich werden sich seine Kandidaten selbst in Affären verwickeln, sobald sie einmal an der Spitze einer Stadt- oder Regionalverwaltung stehen. Nur ist das ein schwacher Trost für die, die bis dahin ihre Koffer packen mußten. Alexander Smoltczyk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen