Pop, komm raus...: Wann kauft Opa endlich Prodigy?
■ Die Popkomm sucht nach neuen Ressourcen bei älteren Generationen
Wie der stetig wachsende Grießbrei aus dem berühmten Kindermärchen hat sich die Popkomm in diesem Jahr auf eine zweite Messehalle ausgebreitet. Noch mehr Aussteller, noch mehr Fachbesucher, noch mehr Konzerte drumherum – ein Ende ist nicht abzusehen. Für das laufende Geschäftsjahr allerdings melden die Auguren widersprüchliche Tendenzen, wachsen auch im Lande Pop die Bäume längst nicht mehr in den Himmel. Es droht nun wirklich das oft beschworene Nullwachstum, und die Branche hat der Blues gepackt.
Weil jedoch zur gleichen Zeit das „nationale Produkt“ boomt, macht sich in deutschen Redaktionsstuben bereits Besorgnis breit: Droht die Renationalisierung des deutschen Markts? Sind wir wieder wer? Ist Gorny etwa der heimliche Hugenberg des Musikfernsehens?
Dabei ist der Durchmarsch der germanischen Eurodance- Klone bis weit ins benachbarte Ausland beileibe kein neuer Trend: Das gutinformierte WOM-Magazin kündete schon vor zwei Jahren vom „Wirtschaftswunder auf dem Tanzboden“, den Exporterfolg deutscher Fließband-Hitproduzenten wie Frank Farian, Michael Cretu und Snap bejubelnd. Und was die Liebe zum Hausgemachten angeht, liegt man auch im neuen Deutschland immer noch hinter dem europäischen Durchschnitt.
Weil am deutschen Wesen allein die internationalen Bilanzen kaum genesen werden, begibt sich die unermüdliche Industrie erneut auf die Suche nach unerschlossenen Zielgruppen, diesmal jenseits der jugendlichen „Heavy User“. Dort hat sie die älteren Käufer über 45 gefunden, im Agenturjargon auch gern liebevoll „Senior Citizens“, „Woopies“, „Grumpies“ oder „Uhus“ gerufen. Die potentiellen Kunden vereinen gleich zwei Vorteile auf sich: Sie verfügen über viel Geld, und sie werden immer mehr. Fragt sich nur, warum da bis jetzt noch keiner drauf gekommen ist.
„Die Zahl der ,best ager‘ nimmt zu, während die jüngerer Menschen zurückgeht“, weiß der Informationsdienst Best age Report zu vermelden: „17 Millionen waren 1996 schon 60 Jahre und älter, bis zum Jahr 2010 werden es um die 20 Millionen sein. Im gleichen Zeitraum sinkt die Zahl der unter 20jährigen von 18 Millionen auf 15 Millionen.“ Und die, glaubt man, sind „young at heart“ und mögen sogenannte alterslose Produkte. Auf den Musikmarkt übertragen, bedeutet das: Wer sich einen Pink-Floyd-VW zulegt, hat bereits die Pink-Floyd- Gesamtedition im CD-Board. Vielleicht gefällt ihm auch die neue Portishead – vorausgesetzt, er findet die Scheibe inmitten der Unübersichtlichkeit der Musikkaufhäuser und Fachgeschäfte. Ist also wieder einmal der Handel schuld? Oder liegt's an der falschen Vermarktung? Kauft Opa die Prodigy-LP, wenn sie im Goldenen Blatt beworben wird? Folglich heißt ein Popkomm-Panel „Wer weckt die Sleepers?“, das die Zielgruppe allerdings in freier Assoziation irgendwo „zwischen Andrea Bocelli und Neo-Country“ verortet. Wo doch die Oma längst Motorrad fährt! Und auf Frank Zappa schwört!
Auch die „best age“-Senioren sind schließlich keine homogene Masse, wenn auch wesentlich überschaubarer als die nachrückende Generation, der immer noch das Hauptinteresse gilt, mit deren Geschmäckern mitzuhalten allerdings immer schwerer wird. Die Ebenen der Ausdifferenzierung in den diversen Subgenres sind beträchtlich, auch der vermeintliche Insider verliert leicht den Überblick, und Hypes verglühen so schnell, daß die Jungs von Primal Scream, die auf der diesjährigen Popkomm ihr neues Album präsentieren, schon wie Veteranen wirken. Wann war noch gleich die Rave-o-lution?
Hinzu kommt, daß aktuelle Trends wie Drum'n'Bass eher was für den kleinen Partyhunger zwischendurch sind als sichere Kandidaten für den musikalischen Einkaufszettel. Dennoch vertrauen die Popkomm- Programmplaner auf die ungebremste Anziehungskraft elektronischer Musik, die einen deutlichen Schwerpunkt im Wochenend-Konzertkalender bildet. Es sieht nach Beschwörungsritus aus: Laß es fiepsen, rattern und knallen, vielleicht wird ja ein neuer Trend geboren, und alles wird wieder gut. Daniel Bax
wird fortgesetzt
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