Pop komm raus: Bei den Gralshütern
■ Bei der PopKomm dominiert die Klein-Community
Dann kommen geballt die Konzerte. Rund dreihundert Bands stehen an vier PopKomm- Abenden auf dem Programm, meist gebündelt als Präsentation eines Labels, eines „Kultes“, einer Marketingstrategie oder eines Sponsoring-Programms im Hintergrund. Eine ganze Menge Holz, das von den verschiedenen lokalen oder auf die Messe ausgerichteten Medien klientelgemäß in Plänen und Übersichten immer neu geschichtet und aufgefächert wird – alles mit dem Ziel, dieses hysterische Gefühl zu erzeugen, in einen Pool ungeheurer Wahlmöglichkeiten eingespeist zu sein: Hey Mann, hier geht ja ganz schön was ab.
Es empfiehlt sich, den Ball flach zu halten und radikal auszusieben. Das Bürgerhaus Kalk, wo „Celtic Circle Productions“ Bands wie Mother Of Destruction, Cradle Of Spoil und House Of Usher vorstellen, scheidet aus Namens- und Neigungsgründen aus. Überhaupt: Nur Vorlieben helfen weiter. Techno mit Westbam und Marusha? Das Metalhammer-Showcase? Ein „satirisches Bankett“ mit Wiglaf Droste, „DJ Bimbam“, Gallus von Tabernagel und „Überraschungsgästen“? – nein, nein, keine Witze heute, bitte.
Hinzu kommt, daß Zapping für das richtige Leben noch nicht erfunden wurde und man nur den einen, nicht besonders virtuellen Körper hat – schon ist ein ungeheurer Schrumpfungsprozeß des gesamten Event-Charakters zu beobachten. Wer, wie ich, über ein geliehenes Fahrrad verfügt, kann – auch der journalistischen Sorgfaltspflicht wegen! – noch Club-Hopping betreiben, kurz bei Funny van Dannen im Tingeltangel reinschauen und bei den Anfängen der Singer- Songwriter-Show des echt guten Veracity Labels. Dann beginnen sich konzentrische Kreise zu bilden, Klein-Community gesellt sich zu Klein-Community, locker angedockt an Vorlieben, Aussehen oder Sprechweisen. Am Ende ist es ein einziges Konzert- Package, bei dem man vernünftigerweise hängenbleibt – und wie durch ein Wunder sind alle, die man kennt, auch da.
Als ich, wie jedes Jahr, im Pulk Kerstin Grether von SPEX treffe, besteht die ganze große PopKomm nur noch aus einem kleinen Stück Bürgersteig in der Luxemburger Straße mit darauf abgestellten Getränken und einem wohlgewogenen Sprechen über mikroskopische Dinge des popkulturellen Szenezusammenhangs. Der Pop kommt dabei nicht so recht heraus, eher versteckt er sich in einem Sub- Subgeflecht von Kleinerzählungen und Befindlichkeiten, die, wie wir übereinkommen, nur mehr erstaunlich wenig Berührungspunkte mit den behaupteten Bewegungsgesetzen der musikalisch-medialen Welt und ihrer populären Großdiskurse aufweist. Wir können uns auch darauf einigen, daß Tocotronic, die gleich drinnen spielen werden, keine üble Gruppe sind. Ich werde mit einigen journalistisch nicht ausbeutbaren Feineinschätzungen der persönlichen und professionellen Lage bei den „Gralshütern des Underground“ (so der Titel zur Ausstellung 15 Jahre SPEX) versorgt, während ich, durch Bier und Freundlichkeit enthemmt, alles erzähle, was in der taz so los ist und wie die neue Chefredaktion sich macht.
Tocotronic, die mittelneue Jungensband aus Hamburg, geben diesem so eigenartig geschrumpften PopKomm-Abend dann noch eins drauf, indem sie mit großer Verve ihren Hit „Michael Ende, du hast mein Leben zerstört“ interpretieren. Überhaupt handeln ihre Lieder von Tanztheatern, die man hassen muß, und 23jährigen, die sich fragen, wie sie es bloß so lange mit sich ausgehalten haben. Aber toll! Vielleicht ist das Songtagebuch doch die geeignete Form, in der sich der Widerspruch zwischen Individual-Pop und PopKomm-Punk irgendwie ausleben und formulieren läßt. Auch die letzte Band ließ einen sowas vermuten. Sie hieß „Geführt von Stimmen“. Thomas Groß
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