: Pop? Politik? SOS!
■ Warum „Blumfeld“, „Eins Zwo“ und „Silvesterboy“ heute in der Fabrik spielen
Eine gewisse politische Verpflichtung von Pop-Musikern hat in Hamburg Tradition. Nachdem im vergangenen Jahr bereits Tocotronic und Fettes Brot für die panafrikanische Studentenorganisation „Struggles of Students“ (SOS) in der Fabrik aufgetreten waren, reihen sich heute abend Blumfeld, Eins Zwo und Silvesterboy in die Gruppe der Sympathisanten ein. Auch sie werden den Erlös des Konzertes SOS zukommen lassen. Die in Hamburg ansässige Gruppe wiederum will damit die sierraleonische Studentenorganisation NUSS (National Union of Sierra Leonian Students) in ihren Bemühungen um den Friedensprozess in Sierra Leone stärken. Aber wie sieht die dortige Situation eigentlich genau aus?
Am 7. Juli diesen Jahres wurde in Lomé, Togo, ein Friedensvertrag zwischen Sierra Leones Präsident Ahmad Tejal Kabbah und dem Anführer der „Revolutionary United Front“ (RUF) Foday Sankoh unterschrieben, von dem sich die Sierra Leonis das Ende des achtjährigen Bürgerkrieges erhoffen. Der Krieg hatte 20.000 Einwohnern Sierra Leones das Leben gekostet. Weitere 500.000 flohen in die Nachbarländer Guinea und Liberia. Der Konflikt, der von schweren Menschenrechtsverletzungen durch beide Seiten geprägt war, zog allerdings Kreise weit über die Grenzen Sierra Leones hinaus.
Die von Nigeria angeführte Ökonomische Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) stand hinter Präsident Kabbah, während Liberia, obwohl ebenfalls ECOWAS-Mitglied, die Rebellen der RUF logistisch und militärisch unterstützte. Vom Lomé-Abkommen erhoffen sich internationale Beobachter daher einen stabilisierenden Einfluss auf die gesamte Region. Das Abkommen sieht die Entwaffnung der Konfliktparteien, die Bildung einer neuen sierraleonischen Armee, und den schrittweisen Abzug der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog vor. Außerdem soll die RUF durch die Besetzung von vier Ministerien an der Regierung beteiligt werden. Darüber hinaus fordert das Abkommen die Bildung einer Wahrheitskommission nach südafrikanischem Muster zur Aufarbeitung der Verbrechen
Ob allerdings der Friedensschluss halten wird, bleibt abzuwarten, nachdem bereits zwei Friedensabkommen, das letzte aus dem Jahr 1996, gebrochen wurden. Die Zweifel an der Stabilität des Abkommens werden zudem durch die beschlossene Generalamnestie, die auch für schwerste Menschenrechtsverletzungen gelten soll, genährt.
Ein stabiler Verlauf des Friedensprozesses hängt mitnichten von der Haltung der internationalen Kontaktgruppe ab. Eine wichtige Voraussetzung für einen Frieden wäre das Zurücktreten der Mitgliederstaaten der Kontaktgruppe von ihren jeweiligen ökonomischen wie geopolitischen Interessen in Sierra Leone. Um in diesem Sinne bei den Staaten der Kontaktgruppe zu intervenieren, startet die NUSS eine Lobby-Tour durch die Staaten der Kontaktgruppe, um dort für eine konsequente Haltung gegenüber dem Friedensprozess in Sierra Leone zu werben. Es sollen Vertreter der Außenministerien, Menschenrechts-Organisationen und Presse über den aktuellen Stand der Entwicklung informiert werden. Die Aktivisten der NUSS erhoffen sich davon nicht zuletzt einen steigenden internationalen Druck auf die Konfliktparteien.
Organisiert wird diese Initiative von „Struggles of Students“ (SOS), die es sich zum Ziel gesetzt haben, einzelne afrikanische Studentenbewegungen in ihrem Kampf um Demokratisierung miteinander zu vernetzen.
Wenn also Jochen Distelmeyer auf der Fabrik-Bühne einmal mehr feststellen wird, dass Sorge Zusammenhänge braucht, um neue Formen zu erproben, wird ihm niemand stärker beipflichten als die Aktivisten der „Struggles of Students“.
Hussein Tams
heute, 21 Uhr, Fabrik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen