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Archiv-Artikel

Polonium auf der Couch

Spuren des Stoffs wurden in der Hamburger Wohnung gefunden, wo der Geschäftsmann Kowtun schlief, bevor er zu seinem Treffen mit Litvinenko flog

AUS HAMBURG GERNOT KNÖDLER

Eine Spur im Fall des ermordeten Kreml-Kritikers Litvinenko führt nach Hamburg. Wie das Bundesamt für Strahlenschutz gestern mitteilte, ist in einer Wohnung im Hamburger Szenestadtteil Ottensen radioaktives Polonium-210 gefunden worden – der Stoff, mit dem Litvinenko vergiftet wurde.

In der Wohnung hatte Dimitri Kowtun übernachtet, einer der Männer, die Litvinenko am Tag seiner Vergiftung im Londoner Millennium Hotel traf. Gegen Kowtun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ob er zu den Opfer oder Tätern gehört, ist aber ungewiss.

Litvinenko, ein ehemaliger Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB, der seit einiger Zeit in London lebte, starb am 23. November einen qualvollen Strahlentod. Der Firmenberater Kowtun, der in Deutschland Bleiberecht genießt, war am 28. Oktober mit einer Maschine der russischen Fluggesellschaft Aeroflot nach Hamburg geflogen. Vom Flughafen Fuhlsbüttel aus zog er nach Angaben der Polizei eine Spur radioaktiver Kontamination hinter sich her. Der Beifahrersitz des BMW, mit dem er vom Flughafen abgeholt wurde, war ebenso kontaminiert wie Gegenstände in der Wohnung seiner Schwiegermutter im Dörfchen Haselau im Hamburger Speckgürtel. Selbst vor der Akte in der Ausländerbehörde, die Kowtun unterschrieb, schlug der Geigerzähler aus.

Dass die Radioaktivität tatsächlich von Polonium ausgeht, haben die Strahlenschützer bisher nur in der Wohnung von Kowtuns Exfrau Marina W. nachweisen können. Spuren des Stoffes fanden sich auf der Couch, auf der Kowtun geschlafen haben soll, bevor er am Morgen des 1. November zu seinem Treffen mit Litvinenko flog.

„Bisher war nicht zu klären, ob sich die Strahlenquelle im Körper von Kowtun oder außerhalb befand“, sagte der Leitende Staatsanwalt Martin Köhncke. Seine Behörde habe ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Missbrauch ionisierender Strahlung und des unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen eingeleitet. Es sei aber unklar, ob Kowtun dabei als Täter oder als Opfer zu betrachten sei – erst recht, ob er als Mörder Litvinenkos in Betracht komme.

„Polonium wird in der Regel in flüssiger, gelöster Form transportiert“, sagte Gerald Kirchner vom BfS. Sollte das Gefäß nicht dicht verschlossen gewesen sein, hätte Kowtuns Körper oder seine Kleidung den Stoff aufnehmen und weitertransportieren können. Sollte sich das Polonium in Kowtuns Körper befunden haben, würde er es mit seinem Schweiß, Urin oder Speichel ausgeschieden haben. Das bedeute aber nicht, dass sich der Stoff überall dort finden müsse, wo sich Kowtun aufgehalten habe.

In der Maschine der Gesellschaft Germanwings, mit der der Geschäftsmann nach London geflogen war, fanden sich zum Beispiel keine Spuren von Radioaktivität. Wie es sich in dem Aeroflot-Flugzeug verhält, mit dem er nach Hamburg kam, ist ungewiss. „Die Maschine der Aeroflot ist für uns nicht erreichbar“, sagte Oberstaatsanwalt Köhncke. Auf eine Anfrage, das Flugzeug untersuchen zu dürfen, hätten die russischen Behörden nicht geantwortet, sagte Thomas Menzel, der Leiter der polizeilichen Sonderkommission. Allein mit den Ermittlungen sind nach Angaben von Menzel 170 Beamte befasst. Dabei arbeitet die Hamburger Polizei mit der Zentralen Unterstützungsgruppe des Bundes für nuklearspezifische Gefahrenabwehr zusammen (ZUB). Morgen soll auch ein Polizist von Scotland Yard in Hamburg eintreffen.

An dem Treffen in der Pine-Bar des Millennium Hotel war neben Kowtun und Litvinenko auch der russische Exagent Andrej Lugowoi beteiligt. Er und Lugowoi hätten mit Litvinenko über ein Treffen gesprochen, „das am nächsten Tag mit einer britischen Firma stattfinden sollte“, sagte Kowtun vor seiner Einlieferung in die Moskauer Klinik dem Internetportal stern.de. Litvinenko habe dabei als Mittelsmann fungieren sollen. Details des Geschäfts wolle er nur der Polizei nennen.

Kowtun dementierte, beim FSB gewesen zu sein. Er sei lediglich auf dieselbe Militärakademie gegangen wie Lugowoi. Er habe als Offizier in Deutschland gedient und eine Hamburgerin geheiratet, von der er nun geschieden ist. Nach zwölf Jahren in Deutschland sei er 2003 zurück nach Moskau gegangen.