Polnischer Publizist Krzeminski: "Die Gesprächsblockade ist vorbei"
Deutschland und Polen haben ihren geschichtspolitischen Streit beigelegt. Eine Chance, die eingeübten Abwehrreflexe endgültig zu durchbrechen, so der polnische Publizist Adam Krzeminski
taz: Herr Krzeminski, mögen wir uns jetzt wieder? Wir Deutsche und Polen?
Adam Krzeminski: Was heißt "wieder"? Wir mögen uns doch immer mehr. (lacht) Jedenfalls wenn man den Meinungsumfragen trauen darf. Dass sich Politiker und Publizisten in den letzten Jahren regelrechte Schlachten geliefert haben, ist eine andere Sache.
Aber der Streit über das richtige Gedenken an die Vertreibung hat doch alle entzweit. Kann man die "wohlwollende Distanz", die die polnische Regierung künftig zu der Vertriebenenausstellung "Sichtbares Zeichen" in Berlin einnimmt, als Durchbruch bezeichnen?
Im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in jedem Fall. Die Gesprächsblockade der letzten beiden Jahre ist überwunden. So wurde der deutsch-polnische Kompromiss möglich. Zwar gibt es keine strikte Ablehnung mehr, aber auch keine direkte Zustimmung. Sondern eben "wohlwollende Distanz".
Was war denn eigentlich das Problem? Die Vertreibung oder Erika Steinbachs "Bund der Vertriebenen"? Oder die antideutsche Haltung bestimmter Politiker und Publizisten in Polen?
In Polen gab es drei Ebenen des Streits. Zum einen die Vertreibung selbst. Doch das war das kleinste Problem. Zwischen den Vertriebenen und den Einwohnern ihrer alten Heimatstädte hat es seit 1989 immer mehr freundschaftliche Kontakte gegeben. Dann der Bund der Vertriebenen (BdV) und seine Vorsitzende Erika Steinbach, die als Initiatoren des "Zentrum gegen Vertreibungen" für viel böses Blut in Polen gesorgt haben. Schließlich aber auch der innerpolnische Streit. Die Nationalkonservativen haben seit 2003 die antideutsche Karte gespielt und damit gehofft, Wähler am rechten Rand zu gewinnen.
War der wesentliche Auslöser des Streits nicht das Konzept des BdV-Projekts "Zentrum gegen Vertreibungen"?
Der Auslöser war die gesamte Politik Erika Steinbachs, der BdV-Präsidentin seit 1998. Sie forderte sogar ein Veto gegen die Aufnahme von Polen in die EU, solange Polen sich nicht für die Vertreibung entschuldige, den Vertriebenen ihr Eigentum zurückgebe und ihr Recht auf Rückkehr in die Heimat anerkenne. Erst dann kam die Diskussion darüber, ob das "Zentrum gegen Vertreibungen" in der Nähe des Holocaust-Mahnmals stehe soll. Ob Völkermorde und Vertreibungen in eine Ausstellung gehören. Auch wenn sich Steinbach davon später distanzierte - ihre Politik war der Auslöser.
Warum hat es so lange bis zu einer Zustimmung der Polen zum "sichtbaren Zeichen" gedauert?
Zur "wohlwollenden Distanz"! (lacht) Weil die Kaczynski-Regierung überhaupt keine Verhandlungsmasse sah. Es gab eine Gesprächsblockade, die auf ein Alles oder Nichts hinauslaufen sollte. Statt ein Gegenprojekt vorzulegen, wie nach Ansicht der Polen an die Vertreibung erinnert werden sollte, haben sie nur immer wieder an das Martyrium der Polen erinnert. Zudem haben die Rechten jedes gemeinsame Gedenken mit den Deutschen strikt abgelehnt.
Das "sichtbare Zeichen" ist ja nur ein Arbeitsbegriff. Wäre es sinnvoll, die Ausstellung, die nun in Berlin entstehen soll, "Zentrum gegen Vertreibungen" zu nennen?
Nein, dieser Begriff ist inzwischen ideologisch zu belastet. Es geht ja nicht darum, alle möglichen Vertreibungen ohne ihren historischen Kontext nebeneinanderzustellen. Es geht um den Angriffskrieg der Deutschen gegen Polen. Ohne ihn hätte es keine Vertreibung geben. Weder die der Deutschen noch die der Polen.
Werden sich polnische Historiker künftig trauen, am "sichtbaren Zeichen" mitzuarbeiten? Die polnische Regierung hat nun nichts mehr dagegen. Aber wie sieht es mit der publizistische Schlammschlacht von Blättern wie Wprost und Rzeczpospolita aus?
Sicher werden diese Zeitungen, die inzwischen nur noch die rechte Parteiklientel bedienen, jeden Kontakt mit den Deutschen als "Verrat" brandmarken. Das sollte man jedoch nicht so ernst nehmen. Ihre Auflage stagniert und sinkt sogar. An der Bonner Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" haben bereits zwei namhafte polnische Historiker mitgearbeitet, sie oder andere könnten nun auch beim "sichtbaren Zeichen" mitarbeiten. Das wäre sicher kein Problem.
Was müsste denn in die Ausstellung unbedingt rein? Von polnischer Seite aus gesehen?
Wichtig ist den Polen der Charakter des Angriffskrieges. Die Deutschen hatten von Anfang an einen Vernichtungskrieg gegen Polen geplant, eine ethnische "Flurbereinigung", wie Hitler das nannte. In Polen hat nicht nur der Holocaust stattgefunden. Den meisten Deutschen ist aber gar nicht klar, was sie im Krieg in Polen angerichtet haben. Ohne diese Verbrechen ist aber die Vertreibung der Deutschen nicht zu verstehen. Es wäre gut, wenn die Bonner Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" in Polen gezeigt werden könnte. In Polen kennt sie fast niemand.
Was fehlt denn noch im historischen Bewusstsein der deutschen Wahrnehmung?
Bestimmt, dass auch die Polen, die nach 1945 in Breslau, Danzig oder Stettin siedelten, ja aus dem Osten Vertriebene waren. Und die Aufarbeitung der braunen Vergangenheit vieler Vertriebenenfunktionäre. Erika Steinbach hat vor zwei Jahren versprochen, dass sie die Wurzeln des BdV in der Nazizeit aufdecken wird. Das ist nicht geschehen. Der BdV ist immer mit dem völlig falschen Alleinvertretungsanspruch aufgetreten. Dabei hat es Vertriebene, die entgegen der Politik des Landsmannschaften für die Versöhnung eingetreten sind. Auch das müsste in die Ausstellung.
In Deutschland wirft man den Polen gerne vor, dass diese nicht über die Vertreibung reden wollen, weil sie dort die Täter waren. Ist die Vertreibung der Deutschen in Polen noch immer - oder inzwischen wieder - ein Tabu?
Ganz im Gegenteil. In Allenstein, Breslau, Stettin und Danzig beschäftigt man sich intensiv mit der deutschen Vergangenheit. Das Problem waren finanzielle Ansprüche der Vertriebenenorganisation Preußische Treuhand und die Forderungen nach Entschuldigung, als habe es den Brief der polnischen Bischöfe von 1965 mit dem berühmten Satz "Wir vergeben und bitten um Vergebung" nie gegeben. Als hätte es nie Mitleid und Empathie gegeben. Das ärgerte die Polen verständlicherweise und brachte viele in eine Abwehrposition.
Die Polen werfen den Deutschen hingegen gern vor, dass sie nur an den Holocaust denken und an die eigene Vertreibung, also im Grunde genommen nur zwei Opfergruppen kennen: Juden und Deutsche. Wird dieses Problem mit dem geplanten neuen Museum der polnischen Geschichte in Berlin ausgeräumt?
Das ist ein viel komplizierteres Problem. Es gibt eine enorme Asymmetrie der Wahrnehmung des anderen. Anders als die Franzosen, Amerikaner oder Russen existieren wir Polen kaum im Bewusstsein der Deutschen. Da geht es nicht nur um das Problem der polnischen Opfer. Ich nenne das die Unkenntnis des polnischen Aspekts der deutschen Geschichte. Während die deutsch-französische Erbfeindschaft bekannt und verarbeitet ist, ist Polen immer noch der "unbekannte Nachbar"
INTERVIEW: GABRIELE LESSER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag