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Polizisten spritzen Brechmittel

■ Polizeipräsident bestätigt drei Fälle / Mediziner: Gefährliches Mittel

Eigentlich wollte Bremens Polizeipräsident Rolf Lüken gestern mit einer Pressekonferenz die Vorwürfe gegen seine Beamten entkräften. Detailliert listete Lüken auf, in welch kriminellen Zusammenhängen die vorwiegend afrikanischen Zeugen stünden: wieviele Ermittlungsverfahren wegen welcher Delikte (Betäubungsmittelbesitz und -verkauf, Raub und Hehlerei) gegen die Männer laufen, die öffentlich aufgetreten waren und von Mißhandlungen und Schlägen durch die Polizei berichtet hatten.

Doch dann bestätigte Lüken den Vorwurf, der neben den angeblichen Elektroschocks bisher am wenigsten glaubhaft schien: Einem Beschuldigten war tatsächlich eine Injektion verabreicht worden. Die Injektion selbst sei nach § 81 a der Strafprozeßordnung rechtmäßig gewesen, versichert der Polizeipräsident. Der Afrikaner, den Polizeibeamte beim Verschlucken von vier Päckchen Rauschgift beobachtet haben wollen, sollte so zum Erbrechen der Beweismittel gebracht werden.

Lüken beteuerte auf der Pressekonferenz aber auch: Mit diesem Fall habe er zum ersten Mal von solchen Maßnahmen erfahren. Auf Drängen der Journalisten recherchierte die Polizei später, daß insgesamt drei Injektions-Fälle vorlägen - in welchem Zeitraum, ob immer bei Schwarzen und immer wegen Rauschgiftverschluckens — das konnte die Polizeipressestelle noch nicht herausfinden.

„Apomorphin“ heißt der Stoff in der Spritze, ein Morphinderivat, das zwar nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, aber dennoch zumindest nicht ungefährlich ist: Apomorphin wirkt direkt auf's Gehirn. Früher wurde der Stoff eingesetzt, um Selbstmordkandidaten die geschluckten Tabletten aus dem Magen zu holen. Doch weil die einsetzenden Brechreflexe derart heftig sind, daß sich dabei die Magen-oder Darmschleimhaut erheblich verletzen und innere Blutungen verursachen kann, wird diese Methode kaum noch angewandt. Ein Arzt erklärte der taz: „Die kotzen sich den Magen aus dem Leib. Das muß man einmal gesehen haben. Mit dem Erbrechen, was man von verdorbenem Magen her kennt, hat das nichts zu tun.“ Magenspülungen seien da weitaus verträglicher für den Patienten. In pharmakologischen Fachbüchern wird deshalb dringend vom Gebrauch Apomorphins abgeraten. Wegen der eindeutig hirnschädigenden Wirkung vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern.

Dr. Georg Kondrat sieht dies allerdings ganz anders. Kondrat ist seit vielen Jahren Bereitschaftsarzt der Bremer Polizei. Er ist vor allem für die Einstellungsuntersuchungen von Polizisten zuständig. Er muß aber auch die Haft- oder Vernehmungsfähigkeit von Tatverdächtigen feststellen.

In einem solchen Zusammenhang muß ihm oder seinem Kollegen Karl-Heinz Männche auch der Afrikaner Aziz vorgeführt worden sein. Denn nach Aussage des Polizeipräsidenten wurde der Verdächtige zum Bereitschaftsarzt in Huckelriede gebracht. Dort sei ihm zunächst Apomorphin gespritzt worden, die vermuteten vier Päckchen Heroin habe er jedoch nicht erbrochen. Lüken: „Die hat er immer wieder heruntergeschluckt.“

Das wiederum halten Mediziner aufgrund der heftigen Wirkung der Droge für ausgeschlossen. A. sei anschließend ins Krankenhaus Links der Weser gebracht worden, wo ein Arzt auch nach anderthalb Stunden noch keine Vergiftungserscheinungen beobachtete und sich deshalb gegen eine zusätzliche Magenspülung entschied.

Wegen „Unverhältnismäßigkeit“ sei der Afrikaner dann entlassen und nicht weiter verfolgt worden, erklärt Lüken.

Für Anwälte der Strafverteidiger-Initiative ist dieses Vorgehen eine klare Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Ein Arzt, der aus beruflichen Gründen namentlich ungenannt bleiben möchte, sieht darin einen erheblichen Verstoß gegen die ärztliche Ethik: „Da sollten möglichst schnell Beweismittel sichergestellt werden, noch vor Dienstschluß. Denn sonst hätte durchaus auf die Wirkung von Abführmitteln gewartet werden können.“

Dr. Kondrat versichert unterdessen, für ihn stünde der Mensch im Vordergrund, nicht Beweissicherung. Unter Gewaltanwendung würde er solche Spritzen auch niemals setzen. Der Afrikaner dagegen hatte sich mit der Injektion nach eigener Aussage nicht einverstanden erklärt. Und das Anti-Rassismus-Büro weiß von vielen anderen Fällen, die jetzt alle motiviert werden sollen, Anzeige zu erstatten. Birgitt Rambalski

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