Polizeiwörter: Die Gefährder der deutschen Sprache
Der Trickle-Down-Effekt ist ein Mythos, im Ökonomischen wie auch im Dichterisch-Denkerischen. Goethe war gut, dennoch hapert es im Alltag oft mit dem Sprechen. Das zeigt sich beim Reden über Leute, die häufig straffällig geworden sind oder demnächst möglicherweise straffällig geworden sein werden. Polizisten, Politiker und Publizisten haben sich angewöhnt, die einen als „Intensivtäter“, die anderen als „Gefährder“ zu bezeichnen. Ein Top-Grüner sprach gar von „Top-Gefährdern“.
Das lateinische intensus bedeutet gespannt, aufmerksam oder heftig. Im Deutschen meint man damit angestrengt, stark oder kräftig. Wer des Deutschen mächtig ist, sollte beim Intensivtäter also an eine Person denken, die ihre Taten besonders heftig ausführt. Das ist aber nicht gemeint, Qualität wurde mit Quantität verwechselt: Als Intensivtäter bezeichnen Polizisten jemanden, der viele Taten verübt hat. Die Intensität seiner Taten ist ein Nebenaspekt, eine Qualität, die jeder Gewalttat innewohnt, die definiert ist als „körperlich wirkender Zwang, der nach seiner Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder -betätigung eines anderen zu beeinträchtigen“ (BGH 1995).
Würden sie gutes Deutsch sprechen wollen, sollten Polizisten so einen Täter Wiederholungstäter nennen, und das machen viele auch.
Aber was tun mit dem „Gefährder“? Dieser Neologismus, angeblich von Schäuble ins Spiel gebracht, scheint zu sagen, dass eine Person im Verdacht steht, demnächst etwas zu tun, was das Leben anderer in Gefahr bringt, etwa durch einen Terroranschlag. Laut Arbeitsgemeinschaft der Leiter der LKAs und des BKA sind Gefährder aber Menschen, bei denen „bestimmte Tatsachen die Annahme der Polizeibehörden rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der StPO, begehen“. Die Straftatenliste dieses Paragrafen, der die Telekommunikationsüberwachung regelt, enthält Kriegsverbrechen, Steuerhinterziehung und Dopingvergehen.
„Gefährder“ umfasst also einen viel größeren Personenkreis, als die Debatte suggeriert. Außerdem sagt er das Gegenteil von dem, was gemeint ist: Beim üblichen Gebrauch des Verbs gefährden wird die Gefahr, die durch eine Handlung ausgeht, nicht als deren Ziel, sondern als Nebenwirkung begriffen: Wenn Sie in der Schwangerschaft rauchen, gefährden Sie die Gesundheit Ihres Kindes etc. pp.
Insofern ist es grob vereinfachend, potenzielle Terroristen mit potenziellen Steuerhinterziehern in einen Topf zu werfen – und zugleich ein grober Euphemismus, wenn Innenminister Leute als Gefährder bezeichnen, von denen Ermittler annehmen, dass sie Menschen töten wollen – und möglichst viele. Ulrich Gutmair
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