piwik no script img

Polizeitaktik vor Pressefreiheit

West-Berliner Innensenator rechtfertigt Polizeiübergriffe gegen Journalisten  ■  Von Brigitte Fehrle

Berlin (taz) - Am Montag trifft sich in Washington der Kongreßausschuß für europäische Angelegenheiten mit dem stellvertretenden US-Außenminister John Whitehead. Thema der Unterredung wird der Umgang der West-Berliner Polizei mit der Pressefreiheit sein. Mitglieder des Kongresses sowie der Präsident des Abgeordnetenhauses in den USA haben sich „tief betroffen“ über Polizeiübergriffe gegen Journalisten gezeigt wie auch über die Rechtfertigung des Berliner Innensenators.

Innensenator Wilhelm Kewenig (CDU) hat gestern den VertreterInnen von Presse, Funk und Fernsehen, die während der Tagung von IWF und Weltbank massiv in ihrer Arbeit behindert und zum Teil von der Polizei geschlagen worden waren, klar gemacht, daß er voll hinter den Beamten stehe. Wenn Journalisten, so der Innensenator, die Arbeit der Polizei „behinderten“, müsse der einzelne Polizeibeamte vor Ort entscheiden, ob das verfassungsmäßige Recht auf Pressefreiheit hinter den polizeilichen Aufgaben zurückstehen müsse. Dies sei ein „schwieriger Abwägungsprozeß“, sagte der Verfassungsrechtler Kewenig.

Wenn in Einzelfällen Journalisten nicht sachgerecht behandelt worden seien, sei dies „sehr bedauerlich“, sagte der Innensenator weiter und versprach, jede einzelne Beschwerde zu prüfen. Die „gutwilligen“ unter den Journalisten müßten aber zugeben, daß die Polizei sich sehr bemüht habe, die Arbeit der Presse zu unterstützen.

Beschwert hatten sich die drei Chefredakteure der Nachrichtenagenturen 'ap‘, 'dpa‘ und 'Reuter‘. Außerdem hatten etwa zwei Dutzend JournalistInnen der Berliner Tageszeitungen 'Morgenpost‘, 'Tagesspiegel‘, 'Volksblatt‘, ein Fernsehteam des Fortsetzung Seite 2

WDR, JournalistInnen aller in Berlin arbeitenden Agenturen, zahlreiche freie JournalistInnen, die taz sowie die Berufsorganisationen RFFU, DJU, DJV und die Gewerkschaft Kunst eine Protesterklärung veröffentlicht.

Den Polizeikessel, auf den sich ein Teil der Beschwerde der PressevertreterInnen bezog, „hat es schlichtweg nicht gegeben“, sagte Kewenig und berief sich auf eine Videodokumentation der Polizei.

Kewenig äußerte sich auch kritisch über die Anzahl der bei den Demonstrationen und Protesten anwesenden Journalisten. „In großen Trauben“ hätten sie rumgestanden, und auf die Polizeibeamten seien „Blitzlichtgewitter“ niedergegangen, obwohl, so der Innensenator, es „nichts zu berichten“ gegeben hätte. Kewenig und Polizeipräsident Schertz zogen eine positive Bilanz der Polizeieinsätze während des IWF -Kongresses. „Störer“ hätten das Ansehen der Stadt nicht schädigen können, bestätigte auch der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) das positive Urteil. Insgesamt seien 675 Personen vorläufig festgenommen worden. Hinzu käme noch eine Vielzahl kurzfristiger Festnahmen zum Zweck der Personalienüberprüfungen. Bis jetzt seien sechs Haftbefehle erlassen worden.

Von den etwa 10.000 Polizeibeamten, die während dieser Woche im Einsatz waren, seien sieben leicht verletzt worden, gab Landespolizeidirektor Kittlaus bekannt. Dem alternativen „Ermittlungsausschuß“ waren in der vergangenen Woche 963 Festnahmen bekannt geworden. Darin nicht enthalten sei die Zahl der kurzfristigen Festnahmen. Auf Antrag der Oppositionsparteien AL und SPD wird sich der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses am Montag in einer Sondersitzung mit den Vorfällen beschäftigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen