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Polizeiliche PrognosenDann doch lieber Algorithmen

Kommentar von Benno Schirrmeister

Wenn das Bauchgefühl von Beamt*innen zur Abschiebung eines vermeintlichen Islamisten führen kann, wird es gefährlich.

Vielleicht kein so guter Entscheider: Bauch eines Polizisten Foto: dpa

M anche finden ja Precrime schlimm, also die Prognose von Verbrechen, um sie abzuwehren. Und es ist ja auch zum Gruseln, so ein Strafverfolgungsinstrument, das dafür sorgt, dass Taten nie begangen, aber geahndet werden, wie in Philip K. Dicks Sci-Fi-Story „Minority Report“. Aber wer den Fall von Ahmet K. aus Göttingen verfolgt, muss zugeben: Lieber das, als auf Einschätzungen der niedersächsischen Landespolizei angewiesen sein.

Denn längst ist ja, schlimm genug, durch den Gefährderparagrafen 58a das rechtsstaatliche Prinzip unterhöhlt, nach dem es ohne schuldhafte Handlung keine Strafe geben darf: Menschen ohne deutschen Pass droht die Abschiebung als Sanktion aufgrund einer von der Polizei allein erwarteten schlimmen Tat.

Angesichts dieser unerträglichen Praxis muss man die Algorithmen der computergestützten Risikoanalysesysteme, wie sie das Bundeskriminalamt nutzt, als Garanten einer Rest-Objektivität rühmen. Sie basieren immerhin auf robusten psychologischen Erkenntnissen, sind wissenschaftlicher Überprüfung zugänglich, ihre Trefferquote kann quantifiziert werden. Manchmal ist dieses Instrument zuverlässiger als ein Münzwurf.

Das alles lässt sich übers Bauchgefühl niedersächsischer Landespolizist*innen leider nicht sagen. Ihnen fehlt für eine solche Prognose die psychologische Kompetenz. An Empirie steht ihnen nur die persönliche Erfahrung zu Gebote. Und ihr Urteil kann dadurch beeinflusst werden, dass die unspezifischen, abstrakten Gewaltfantasien, die sie Ahmet K. abgelauscht haben wollen, gegen sie selbst gerichtet waren: die Polizei, oder zumindest gegen jene Kolleg*innen, die ihn mit einer Hausdurchsuchung geärgert hatten.

Eine abstrakte Gewaltfantasie liegt vor, wenn jemand sauer ist und sagt – in die Richtung ging's hier wohl: „Euch kann ich alle kalt machen.“ Klingt schlimm, ist aber als anlassbezogene Affektäußerung erwartbar. Sie lässt sich nicht als Hinweis auf Radikalisierung oder Salafismus deuten. Und eben auch nicht als konkrete Bedrohung. Insofern klingt die Gefährder-Einstufung der Landespolizei doch arg nach Willkür. Wenn das zur Abschiebung reicht, wird's wirklich gefährlich.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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1 Kommentar

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  • "Angesichts dieser unerträglichen Praxis muss man die Algorithmen der computergestützten Risikoanalysesysteme, wie sie das Bundeskriminalamt nutzt, als Garanten einer Rest-Objektivität rühmen. Sie basieren immerhin auf robusten psychologischen Erkenntnissen, sind wissenschaftlicher Überprüfung zugänglich, ihre Trefferquote kann quantifiziert werden."

    Das ist leider absolut nicht der Fall. Auch wenn die Intention des Artikels in eine andere Richtung geht, ist hier doch ein Einordnung wichtig: Die psychologischen Erkenntnisse sind nur so robust, wie die handwerklich und wissenschaftlich saubere Arbeitsweise dahinter, und die ist erschreckend schlecht:



    www.apa.org/pubs/h...potlight/issue-156

    Objektiv ist so ein von Menschen gebautes System auch nie:



    www.nature.com/art...d41586-019-03228-6

    "Manchmal ist dieses Instrument zuverlässiger als ein Münzwurf."



    Das immerhin stimmt. Aber auch nicht mehr.

    Eine gute Erklärung dessen, was heute allgemein als "KI", "künstliche Intelligenz", "neuronales Netz", "Deep Learning" oder "Machine Learning" durch die Welt geistert, liefert dieser Vortrag auf dem letzten Chaos Communication Congress:



    media.ccc.de/v/36c...deep_learning_hype