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Polizeihilfe für Guatemala gescheitert

Mit bundesdeutscher Hilfe sollte die Polizei in dem mittelamerikanischen Land demokratisiert werden / Erste Erfolge einer mit wissenschaftlichen Methoden arbeitenden Polizei / Doch nach dem Widerstand der Militärs wurde das Projekt eingestellt / Die Morde rechtsextremer „Dissidenten in der Armee“ gehen weiter  ■  Von Ralf Leonhard

Politische Morde, Verschleppung und Folter von Studenten und Gewerkschaftern sind in Guatemala wieder an der Tagesordnung. Die vor vier Jahren nach den Spielregeln westlicher Demokratien gewählte Zivilregierung unter Vinicio Cerezo ist machtlos. Am 1.August wurde sogar ein führender Mann der regierenden Christdemokraten, der ehemalige Generalsekretär Danilo Barillas, auf offener Straße niedergeschossen. Wenige Wochen später ermordeten Unbekannte den Brauereikönig und Bankier Ramiro Castillo. Menschenrechtsaktivisten und Journalisten werden bedroht. Der rechte Terror hat offensichtlich das Ziel, ein Klima zu schaffen, in dem nach einem starken Mann verlangt wird.

Die Attentäter sind laut Augenzeugen mit schweren Waffen und Sprechfunkgeräten ausgerüstet und stützen sich häufig auf Informationen, die nur dem militärischen Geheimdienst zugänglich sind. Verteidigungsminister Gramajo spricht von „Dissidenten“ in der Armee, die mit rechtsextremen Unternehmergruppen zusammenarbeiteten. Präsident Cerezo erklärte, daß auch Angehörige der Sicherheitskräfte in die Terroranschläge verstrickt sein müssen. Obwohl sogar die US -Botschaft in ungewohnt deutlicher Form gegen die Welle der Gewalt Stellung bezogen hat, wurde bis heute keiner der angeblichen Dissidenten gefaßt. Weiterhin tauchen Leichen mit Folterspuren auf.

Nur kleine Fische

gehen ins Polizeinetz

Als besonders unfähig hat sich bei den Aktionen der letzten Wochen die Nationalpolizei erwiesen. Im Rahmen des Zivilschutzsystems (SIPROCI), das die Sicherheitskräfte der Koordination des Armee-Generalstabs unterstellt, durchkämmten Polizisten gemeinsam mit Soldaten die Hauptstadt, verlangten Ausweise und durchsuchten Fahrzeuge. Mehr als ein paar kleine Fische mit Messern und Handfeuerwaffen sind ihnen dabei jedoch nicht ins Netz gegangen.

Deutsche Wertarbeit

für Guatemalas Polizei

Der Ausbau der Polizei zu einer professionellen und effizienten Truppe, die mit kriminologischen Methoden ermittelt und nicht auf Repression und Folter angewiesen ist, um an Informationen zu gelangen, war einst das ehrgeizige Projekt der jungen Zivilregierung. Juan Jose Rodil, der anfangs als Innenminister fungierte, hatte in der Bundesrepublik, in Spanien, Frankreich, Venezuela, Mexiko und den USA Materialhilfe und Beratungsprogramme ausgehandelt. Den deutschen Parteifreunden war die Sache sogar so eilig, daß sie den Bundestag umgingen und die erste Tranche aus Mitteln des Bundesministeriums für Zusammenarbeit (BMZ) finanzierten.

Im September 1986, kaum acht Monate nach dem Amtsantritt Cerezos, übergab der Staatssekretär im Innenministerium Carl Dieter Spranger symbolisch den ersten Mercedes-Jeep und ein BMW- Motorrad. Insgesamt 55 Patrouillenfahrzeuge, fünf Mercedes-Busse, 60 BMW-Motorräder, Kommunikationsgerät und Videoausrüstung sollten folgen. Im Oktober reiste Polizeichef Oberst Julio Caballeros zu einem 14tägigen Kurs in die Bundesrepublik. Zur gleichen Zeit kamen die ersten Lieferungen aus Mexiko, und die Stipendiaten für Schulungskurse in Europa wurden ausgewählt.

Juan Jose Rodil wollte die Polizeireform zwar in zwölf Jahren abgeschlossen haben, doch die entscheidenden Schritte waren für seine Amtszeit, also die ersten fünf Jahre, vorgesehen. Der öffentlich nie ausgesprochene Hintergedanke: Die Polizei sollte zu einem demokratisch beseelten, zivil geführten und professionell ausgerüsteten Gegengewicht zur Armee ausgebaut werden. Dazu gehörte natürlich auch die Einrichtung eines eigenen Geheimdienstes, der sein Hauptquartier wohl nicht zufällig gegenüber der Polytechnischen Militärakademie aufschlagen wollte, wo der militärische Geheimdienst G-2 seine Sitzungen abhält. Für die Militärs, die nur rund fünf Prozent ihrer Truppen, nämlich 2.500 Mann, in der Hauptstadt stationiert haben, schien es aber gefährlich, daß eine Polizei, die nicht ihrem Befehl gehorcht, 8.000 geschulte Agenten in der Metropole haben sollte: Denn wer die Hauptstadt kontrolliert, lautet die Devise, beherrscht das Land.

Polizeichef

zu 30 Jahren verurteilt

Mit Cerezos Amtsantritt wurde die Kriminalabteilung (DIT) der Nationalpolizei, eine berüchtigte Mördergruppe, aufgelöst. Die Polizeitruppen wurden aufgestockt. Es gab sogar erste Erfolge, die die Richtigkeit des „Rodil-Plans“ bestätigten. Als im Oktober 1987 in Quetzaltenango, der zweitgrößten Stadt des Landes, zwei Studenten verschleppt und ermordet wurden, fiel der Verdacht auf den lokalen Polizeichef. Oberst Caballeros tauschte über Nacht sämtliche Polizisten der Stadt aus und suspendierte den Verdächtigen vom Dienst. Rodil: „Wir ließen die Leichen exhumieren und verglichen die Haare mit Resten, die sich an der Autotür des Polizeichefs fanden.“

Der Verbrecher wurde also mit wissenschaftlichen Methoden überführt und vor wenigen Wochen zu 30 Jahren verurteilt. Das Beispiel spricht zwar für den guten Willen der Reformer, läßt aber gleichzeitig erkennen, daß der Säuberungsprozeß innerhalb der Polizei noch nicht sehr weit fortgeschritten sein kann.

Kidnapperbande vom Chef

der Finanzpolizei geleitet

Wenig später sollte Polizeichef Caballeros persönlich seinen großen Auftritt haben, der durch die nationale Presse ging. Er war einer Bande von Kidnappern auf der Spur, die für ihr verbrecherisches Handwerk weiße Lieferwagen benutzten. Eines Tages entdeckte er eines der verdächtigen Fahrzeuge vom Hubschrauber aus und nahm die Verfolgung auf. Schließlich konnte er die Bande stellen und verhaftete niemand geringeren als den Chef der Finanzpolizei, Oberst Oscar Diaz Urquizu.

Der forsche Oberst landete in Untersuchungshaft, und Julio Caballeros ließ einen Bericht über die Verbrechen der Hacienda-Polizei anfertigen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde Diaz Urquizu auf Kaution freigelassen und zum Verantwortlichen für die Sicherheit des Präsidenten ernannt. Jetzt ist er oberster Leibwächter des christdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Alfonso Cabrera.

Den Hut nehmen mußten Caballeros und Innenminister Rodil. Deren Rücktritt war eine der Forderungen der Putschisten vom 9.Mai 1988 gewesen. Verteidigungsminister Gramajo hatte sich zwar damals hinter den Präsidenten gestellt und den Staatsstreich niedergeschlagen, doch sorgte er anschließend dafür, daß der Forderungskatalog der rebellierenden Militärs Schritt für Schritt erfüllt wurde.

Die Einstellung des Polizeireformprogramms war einer der wichtigsten Punkte. Rodil wurde nach einer Anstandsfrist von wenigen Wochen aus dem Amt komplimentiert und durch Roberto Valle Valdizan ersetzt, der sich vor allem durch seine völlige Unfähigkeit für den Posten qualifiziert hat. Außerdem ist er ein Mann Alfonso Cabreras, welcher Rodil als gefährlichen Rivalen um die Präsidentschaftskandidatur betrachtet hatte. Im August 1988 wurde dann per Regierungsdekret das „Zivilverteidigungssystem“ SIPROCI geschaffen, das die Armee und die bewaffneten Einheiten des Innenministeriums und der Präsidentengarde unter dem Befehl der Militärs koordiniert.

Als Militär zum Schweigen verpflichtet

Damit war der Rodil-Plan gestorben. Roberto Valle verzichtete darauf, weitere Stipendiaten nach Spanien und Venezuela zu schicken, und ließ das umfassende Konzept, an dem Experten aus dem Ausland mitgearbeitet hatten, in einer Schublade verschwinden. Juan Jose Rodil hat sich zurückgezogen und spielt mit dem Gedanken, sich für eine Oppositionskoalition ins Parlament wählen zu lassen. Er macht kein Geheimnis aus seiner Verbitterung und nennt die politischen Ambitionen Cabreras als Hauptgrund für das Scheitern des Reformprojekts. Julio Caballeros wurde auf ein politisches Altenteil abgeschoben und leitet heute das Komitee für Katastrophenfälle, das nach Erdbeben oder Überschwemmungen in Aktion tritt. Seine Erfahrungen als Chef der Nationalpolizei muß er wie ein Beichtgeheimnis wahren: „Sie verstehen: Als aktiver Militär bin ich über diese Dinge zum Schweigen verpflichtet.“

Für den Abgeordneten Victor Hugo Godoy der oppositionellen „Revolutionären Partei“ war das Konzept von Anfang an zum Scheitern verurteilt: „Man kann nicht modernes Gerät einsetzen, bevor nicht genügend Leute ausgebildet sind.“ Und für einen westlichen Diplomaten war es eine schöne Illusion zu glauben, daß man undemokratische Strukturen in einer Regierungsperiode verändern kann: „Man muß ganz langsam vorgehen. Das dauert vielleicht eine Generation.“

Ende Oktober sollen die Polizeischüler von ihrem Ausbildungsaufenthalt in der Bundesrepublik zurückkehren. Drei westdeutsche Experten sind derzeit noch als Polizeiberater in Guatemala tätig, vor allem im Bereich der Schutzpolizei. Mit den lokalen BMW-, Mercedes- und VW -Vertretungen bestehen Serviceverträge für die Wartung der gespendeten Fahrzeuge. Angesichts zunehmender Opposition im Bundestag, selbst innerhalb der Regierungsparteien, dürfte ein Antrag auf Fortsetzung der Polizeihilfe wenig Chancen haben. Ein Antrag der Grünen zur Einstellung der Hilfe ist aber vorerst an die Ausschüsse verwiesen worden.

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