Polizei-Affäre: Dubiose Ermittlungsmethoden
Die Polizei in Soltau-Fallingbostel setzte V-Frau "Pamela" auf einen vermeintlichen Kokain-Dealer an, um ihn mit ganzem Körpereinsatz zu Straftaten zu verführen. Andere Maßnahmen hatten keinen Erfolg gebracht.
Der Einsatz von Sex-Agentinnen bei Fachleuten und Verantwortungsträgern gehört bei Geheimdiensten aller Welt zum nachrichtendienstlichen Repertoire. In der polizeilichen Praxis der Strafverfolgung werden solche Methoden nach höchstrichterliche Rechtssprechung jedoch als sehr problematisch und fragwürdig angesehen und sind nur unter ganz bestimmten Vorrausetzungen zulässig. Dennoch griff die Polizeidirektion Soltau-Fallingbostel offensichtlich zu dem Mittel des Ganz-Körpereinsatzes einer Frau, um im Jahr 2005 einen vermeintlichen Kokaindealer dingfest zu machen.
Zuvor hatten alle verdeckten polizeilichen Maßnahmen, selbst Telefonüberwachung und Observationen, für die Fahnder kein befriedigendes und handfestes Ergebnis erbracht. Und so kam man auf die Idee, eine Sex-Agentin auf den 29-jährigen Beschuldigten anzusetzen. Offenkundig unter der Führung von Beamten der Polizeidirektion Soltau-Fallingbostel und mit Billigung der zuständigen Staatsanwältin in Verden wurde die Vertrauensfrau (V-Frau) unter der Legende Pamela Göllner aus Magdeburg mit dem Codenamen "Pamela" an den Beschuldigten herangeführt. "Sie suchte den Kontakt zu meinem Mandanten, feierte gemeinsam und vermittelte den Eindruck eines ernst gemeinten Liebesverhältnisses", sagt der Bremer Rechtsanwalt Horst Wesemann: "Sie hielt den Mandanten hin und lockte ihn mit sexuellem Interesse." Der Plan war es, den Beschuldigten durch Sex "zu verführen", damit er Kokain und Anabolika beschaffte und Autos verschwinden ließ. "Pamela" gab an, massiv unter Druck zu stehen, da sie Verbindlichkeiten eingegangen sei, die sie nicht erfüllen könnte und deshalb Hilfe vom Beschuldigten brauche. "Angesichts der vermeintlichen Liebesbeziehung ließ sich der Mandant dazu hinreißen, ihren Wünschen teilweise nachzukommen", sagt Wesemann.
Die Staatsanwaltschaft Verden scheute sich nicht, die Taten zur Anklage zu bringen, obwohl der Bundesgerichtshof 2001 entschieden hat, dass die Anstiftung von nicht tatbereiten Personen zu Straftaten durch "Tatprovokation" unzulässig sei. In besagtem Fall war ein Haschisch-Dealer von einer "Vertrauensperson" angestiftet worden, mit größeren Mengen Heroin Handel zu treiben.
Die Einsatz der V-Frau "Pamela" ist kurios und ein Beispiel rechtswidrigen Vorgehens seitens der Ermittlungsbehörden.
"Pamelas" Einsatz fand über einen gewissen Zeitraum im Jahre 2005 statt.
Skrupel bekam offenkundig selbst die Staatsanwaltschaft Verden, weil sie das Ermittlungsverfahren in dem Komplex "Pamela" - also die durch die V-Frau initiierten Straftaten - gegen den Beschuldigten zunächst einstellte.
Zum ersten Prozess gegen den Beschuldigten kam es im Februar 2009, bei dem auch der Komplex "Pamela" mitangeklagt wurde, nachdem das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen worden war.
Geplatzt ist das Verfahren, weil dem Gericht und der Verteidigung von der Staatsanwaltschaft Akten vorenthalten worden sind.
Die Akten offengelegt hat die Staatsanwaltschaft im Juni 2009.
Die Einstellung des Verfahrens im Komplex "Pamela" hat die Amtsrichterin vor dem Verfahren am 14. Juli verfügt. Begründung: Die Staatsanwaltschaft hätte das Verfahren ja selbst einmal eingestellt.
Unzulässig ist für Wesemann auch, dass die Methoden der V-Person eine Entscheidungsfreiheit des Beschuldigten faktisch ausschließen. In diesem Fall habe "Pamela" den Beschuldigten "in ein intimes Vertrauensverhältnis verwickelt und so eine emotionale Abhängigkeit" erzeugt. "Das ist eine Form der Täuschung und Unterdrucksetzung, die jedes rechtsstaatliche Ermittlungsverfahren ad absurdum führt", sagt Wesemann. "Jemanden mit Hilfe von vermeintlicher Liebe und Sex zu einer Straftat zu verführen, um ihn anschließend zu überführen", sei das Gegenteil eines fairen Verfahrens gemäß Artikel 6 Europäische Menschenrechtskonvention und dem Artikel 103 Grundgesetz, kritisiert Wesemann die Methoden der Strafverfolgungsbehörden.
Vor dem am Amtsgericht Walsrode angesetzten Prozess gegen seinen Mandaten forderte er daher, den Komplex "Pamela" nicht zuzulassen. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte schon 1999 im Fall "Castro gegen Portugal" entschieden, dass Erkenntnisse, die durch den rechtswidrigen Einsatz eines agent provocateur gewonnen werden, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen. "In diesem Sinne sind auch die in Rede stehenden Beweise durch Sex-Agentin ,Pamela' nicht verwertbar", bekräftigte Wesemann vor dem Prozess.
Doch kurz vor der Verhandlung kam es ganz anders: Die Amtsrichterin trennte den Komplex "Pamela" zwar von den anderen Anklagepunkte ab und stellte das Verfahren ein - jedoch nur aus formalen Gründen. Die Staatsanwaltschaft legte prompt Beschwerde ein, so dass die polizeiliche Sex-Affäre die niedersächsische Justiz noch weiter beschäftigen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands