Politologe über Muslime und Nichtmuslime: "Kopftücher gehören zur Normalität"
Der Politologe Torsten Jäger vermittelt bei Konflikten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Das zeigt auch Wirkung, wenn es keine Einigung gibt: "Wichtig ist eine Sensibilisierung auf beiden Seiten".
taz: Herr Jäger, Sie verstehen das Clearingprojekt "Zusammenleben mit Muslimen" als Lackmuspapier für den Stand des Zusammenlebens von Muslimen und Nichtmuslimen. Wie steht es damit?
Torsten Jäger: Es gibt natürlich Probleme, es gibt problematisches Verhalten von Muslimen und Rassismus gegenüber Muslimen. Aber in sehr viel höherem Maße gibt es Normalität im Zusammenleben. Das aber wird öffentlich viel zu wenig wahrgenommen, weil es von gegenseitigen Vorurteilen überlagert wird.
Was macht Ihr Projekt dagegen?
Wir greifen bei ganz unterschiedlichen Konflikten ein: beim Bau von Moscheen etwa oder bei Problemen im Schulalltag, wie der Teilnahme am Schwimmunterricht oder wenn muslimischen Schülerinnen untersagt wird, das Kopftuch zu tragen. Insgesamt bekommen wir monatlich etwa 100 Anfragen.
"Islamfeindlichkeit ist die gegenwärtig am meisten verbreitete Form des Rassismus", meint der Interkulturelle Rat in Deutschland. Dieser Entwicklung will er mit einer Aufsatzsammlung entgegenwirken, die am Donnerstag vorgestellt wurde. In dem Buch "Antimuslimischer Rassismus: Konflikte als Chance" (Hg. Jürgen Micksch, Verlag Otto Lembeck, 175 Seiten) schreiben unter anderem der Staatssekretär des Innenministeriums, Peter Altmaier, der Intendant des Theaters an der Ruhr, Robert Ciulli, Aiman A. Mazyek vom Zentralrat der Muslime, der Politikwissenschaftler Dieter Oberndörfer und die Psychologin Birgit Rommelspacher.
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Torsten Jäger, 41, Politologe, ist Geschäftsführer des Interkulturellen Rats in Deutschland und Leiter des Clearingprojekts "Zusammenleben mit Muslimen".
Was machen Sie , wenn muslimische Eltern ihr Kind nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen wollen?
Wir werden meist von den Eltern kontaktiert, die bezweifeln, ob die Schulen alles unternommen haben, einen getrenntgeschlechtlichen Unterricht durchzuführen. Es geht ja immer um die Befreiung vom koedukativen Unterricht. Wir versuchen dann zu vermitteln und der Schule Möglichkeiten aufzuzeigen, wie zum Beispiel den Unterricht mit einer anderen Schule zusammenlegen.
Und wenn die Schule gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht für sinnvoll hält und und nicht freistellen will?
Dann verweisen wir zum Beispiel auf das Bundesverwaltungsgericht, das bereits 1993 die Schulen verpflichtet hat, alle zumutbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, ab der Pubertät einen getrennten Sportunterricht einzurichten. Wenn es trotzdem keine Einigung gibt, können wir nur die Meinungsunterschiede festhalten und dokumentieren, wir haben ja keine juristische Handhabung.
Wie häufig sind eigentlich Konflikte um den Schwimmunterricht?
Diese Konflikte gibt es deutlich seltener, als in der Öffentlichkeit angenommen wird. Bei einer Anfrage an die 16 Kultusminister war - nach Rücksprache mit Schulleitungen und den zuständigen Ämtern - die einhellige Rückmeldung: Es handelt sich um Einzelfälle, für die wir in der Regel Lösungen finden.
Und wenn nicht?
Dann gibt es meist auf beiden Seiten zumindest eine Sensibilisierung für die Thematik. Das wirkt auch, wenn es im Einzelfall nicht zu einer Lösung kommt. Darin sehen wir letztlich auch unsere Hauptaufgabe. Die Gesellschaft muss sich daran gewöhnen, dass es eine gewisse Normalität muslimischen Lebens in Deutschland gibt. Dazu gehören auch Frauen, die Kopftücher tragen, auch in Schulen, Universitäten oder Gerichtssälen. Das ist auch ein Thema, mit dem wir häufig befasst sind.
Manche sehen darin eine schleichende Islamisierung.
Das ist aber nicht der Fall. Es ist ein Zeichen dafür, dass ein Teil der vier Millionen Muslime, die in Deutschland leben, sich auch in gesellschaftliche Bereiche vorgearbeitet haben, aus denen sie lange Jahre ausgegrenzt waren.
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