Politologe Walter über SPD-Kurs zur Linken: "Es war falsch, sich festzulegen"
Parteienforscher Franz Walter hält den Kurswechsel von SPD-Chef Beck in Richtung Die Linke für richtig - nicht aber die an Schröders Politikstil erinnernde Art, sagt er im taz-Interview.
taz: Herr Walter, wird Kurt Beck noch lange SPD-Chef sein?
Franz Walter: Ich bin Parteienforscher und kein Prophet. Aber Kurt Beck ist seit 14 Jahren Ministerpräsident - als Sozialdemokrat mit absoluter Mehrheit in einem traditionell orientierten, katholischen Bundesland. Beck ist jedenfalls ein anderes Kaliber als viele Jungpolitiker in Berlin, die ihn derzeit kritisieren.
Kurt Beck hat die SPD 2007 vor der Wahl in Bremen auf ein kategorisches Nein zur Linkspartei im Westen festgelegt. Jetzt hat er diese Linie verlassen. Was war denn sein Fehler - das Nein oder dessen Aufhebung?
Das kategorische Nein. Es war falsch, sich darauf bei einer Partei festzulegen, die doch im politischen Spiel bleiben wird. Vielleicht hat Beck geglaubt, dass die Linkspartei im Westen eine Eintagsfliege bleibt. Das hätte man besser wissen können. Aber nicht, dass Beck einen Ausweg aus diesen selbst gestellten Verbotsfalle gesucht hat, ist das Problem, sondern wie er das getan hat: taktisch, verdruckst und überlistig. Und gleichzeitig ängstlich und ohne eine Begründung zu liefern. Das erinnert sehr an Schröder. Schröder war ja auch ein Instinktpolitiker, dessen Begründungen immer schwach waren.
Wer derzeit Zeitungen liest, hat eher den Eindruck, dass Beck sein Instinkt in Punkto Linkspartei diesmal getäuscht hat...
Nein, das ist selbst eine Täuschung. Alle Umfragen von Sozialforschern zeigen, dass die Wähler die Linkspartei ausgesprochen gelassen sehen. Man hält sie für eine normale Partei - und es daher auch nicht für skandalös, wenn andere Parteien mit ihr reden. Mehr als die Hälfte der Wähler halten die Linkspartei für prinzipiell koalitionsfähig.
Also braucht die SPD-Spitze gar nicht so verhuscht aufzutreten wie im Moment?
Nein, obwohl man schon nachvollziehen kann, dass sie Angst haben. Im Moment wird in manchen Medien ja aus jedem Furz eines Landrats und Stöhnen eines gescheiterten Ex-Wirtschaftsministers ein Erdbeben in der SPD. Dass die SPD-Spitze das beeindruckt, ist schon verständlich.
Muss die SPD-Spitze denn für die Bundestagswahl 2009 eine Anti-Volksfront-Kampagne der Konservativen und ihrer Leitmedien fürchten - wenn die SPD etwa in Hessen mit der Linkspartei zusammenarbeitet?
Nein. Der letzte erfolgreiche Lagerwahlkampf der CDU war der 1994. Die Lagerwahlkämpfe danach hat Rot-Grün erfolgreich mit der Sozialstaatsthemen geführt. Es ist wirklich seltsam, dass so viele Politiker noch immer so reden als wäre 1978. Die Linke, gegen die man heute Volksfrontkampagnen inszenieren würde, sind ja keine jungen Revoluzzer, die Rotarmist spielen wollen. Das sind 50-jährige, die sozialkonservative Werte vertreten.
Also ist die Öffnung der SPD gegenüber der Linkspartei ganz gefahrlos?
In Hamburg hat Westerwelle Anti-Volksfront-Wahlkampf gemacht, in Hessen Roland Koch. Das Ergebnis war doch eindeutig: Es gibt hier wie dort arithmetische Mehrheiten für Rot-Rot-Grün. Und: Die Wähler von SPD und der Linkspartei sind sich in vielem - etwa der Ablehnung von Studiengebühren oder beim Mindestlohn - völlig einig.
Trotzdem: Die SPD-Rechte und die Netzwerker kritisieren die Öffnung zur Linkspartei scharf. Beck hat mit seiner Rolle Rückwärts offenkundig ein Legitimationsproblem...
Die Aufgabe eines Parteichefs kann es auch mal sein, sich zu korrigieren, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. Das kann man den Wählern auch klar machen. Leider ist Beck jemand, dem nur unter Handlungsdruck etwas Vorwärtsweisendes einfällt.
Trotzdem muss Beck seinen Kurswechsel noch rechtfertigen - oder?
Möglich wäre ein Parteitag - so wie es Schröder gemacht, um der Agenda 2010 die fehlende Legitimation zu verschaffen. Das könnte in der Linksparteidebatte durchaus funktionieren. Denn an der Basis sieht man diese Frage viel weniger dramatisch als in der Berliner Politschickeria. Nach dem Parteitag wäre die Debatte vorbei. Allerdings gibt die SPD vorher das ungünstige Bild einer zerstrittenen Partei ab, das tausendfach über die Medien multipliziert würde.
Schröder hat die Agenda 2010 auf dem Parteitag aber mit der Autorität des Kanzlers durchgesetzt..
Ja, und Beck würde sich mit der Autorität des Parteichefs durchsetzen, zu dem es so arg viele Alternativen nicht gibt.
Also wäre ihm eine Mehrheit auf so einem Parteitag sicher?
Ja. Schauen Sie mal in die Bundesländer. Andrea Ypsilanti ist für diese Öffnung zur Linkspartei, in NRW ist Hannelore Kraft dafür, im Saarland Heiko Maass. Der Parteichef in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, ist pronociert auf Becks Seite, der Fraktionschef Claus Schmiedel in Baden-Württemberg auch. Auch eher rechte ostdeutsche Sozialdemokraten wie Wolfgang Tiefensee stehen zu Becks Kurs. Dass sozialdemokratische Altkader wie Hans Apel, Herrmann Rappe, Friedhelm Farthman oder Wolfgang Clement motzen, ist eigentlich nicht wichtig.
Aber auch die SPD-Vize Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück scheinen die Öffnung nicht zu wollen...
Dass die "Stones" mit den vorsorgenden Staatskarrieristen unter den Jungabgeordneten das nicht wollen, ist nicht verwunderlich. Entscheidend ist aber, dass die SPD-Landespolitiker, denen demnächst mal Wahlen ins Haus stehen, diese Öffnung goutieren.
Wie stabil ist denn die Linkspartei im Westen? Ist das ein fragiles Bündnis aus unterschiedlichsten Protestwählern - oder schon eine stabile Partei?
Die Ressource dieser Partei sind sozialen Spannungen und die Spaltung in oben und unten. Ohne ein Futurologe zu sein, kann man sagen, dass diese Quellen des Erfolgs der Linkspartei in Zukunft nicht verschwinden werden. Im Gegenteil. Ob die Linkspartei geschmeidig genug für das parlamentarische Geschäft sein wird, ist hingegen offen. Es gibt dort den Typus des Gesinnungsdogmatikers, der schon oft die Partei gewechselt hat, wenn dort Kompromisse gemacht wurden, die ihm nicht passten. Das kann schwierig werden.
Hessen zeigt ja neben der etwas künstlichen Aufregung um die Linkspartei auch etwas anderes. Im Fünfparteisystem gibt es auch Pattsituationen, in denen nur Minderheitsregierung möglich sind. Das kann auch der CDU mit Koch passieren. Sind Politiker und Wähler eigentlich fähig, mit dieser ungewohnten Lage souverän umzugehen?
Es gibt eine diffuse, vielleicht deutsche Angst vor dem Unvorhersehbaren, Unzuverlässigen Das Parteiensystem war in Deutschland ja immer äußerst stabil und übersichtlich. Da ist es etwas verwegen zu verlangen, dass sich Gewohnheiten sofort ändern und man die Vorteile von Minderheitsregierungen, wie etwa ein lebhaftes Parlament, gleich zu schätzen weiß. Das braucht Zeit. In Hessen ist das Spiel zudem noch offen. Ich glaube, dass Angela Merkel Roland Koch demnächst einen Job beschafft und einen passablen, Kandidaten für Hessen präsentieren wird, der mit den Grünen und der SPD redet. Und sie in Verlegenheit bringen kann.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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