Politische Justiz in der Türkei: Verfahren gegen Erdoğans Rivalen
Istanbuls beliebter Bürgermeister Ekrem İmamoğlu gilt als Erzrivale des türkischen Präsidenten. Nun wird gegen ihn ermittelt.
Beim Besuch des Mausoleums von Sultan Mehmet Fatih, Eroberer von Konstantinopel 1453, soll İmamoğlu sich respektlos verhalten haben: Am 29. Mai letzten Jahres, dem Jahrestag der Eroberung, hielt er seine Hände im Angesicht des Eroberers hinter dem Rücken.
Als sich die Meldung über das Ermittlungsverfahren verbreitete, verlautbarte das Satiremagazin Zaytung: „Diese Meldung ist nicht von uns.“ Der Sprecher von İmamoğlu, Murat Ongün, meinte nur, dieses Verfahren sei offensichtlich „unsinnig“.
Doch was ist schon unsinnig, wenn es darum geht, seine ärgsten Konkurrenten fertig zu machen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2019, gelang es dem Oppositionspolitiker İmamoğlu durch einen furiosen Wahlkampf die regierende AKP in Istanbul zu schlagen, und der Partei Erdoğans das Amt des Bürgermeisters zu entreißen, das dieser 1994 für die Islamisten eroberte und das seitdem von den Religiösen gehalten wurde. Istanbul war die wichtigste Bastion Erdoğans.
Religiös und kompromissbereit
Seitdem tut der Präsident alles, um İmamoğlu das Leben schwer zu machen. Er kürzte die Mittel für die Stadt, verbot der Stadtverwaltung, bei den staatlichen Banken Kredite für den U-Bahn-Bau aufzunehmen und entzog Befugnisse der Stadtplanung. Dennoch ist Imamoglus Popularität ungebrochen. In Umfragen landet er regelmäßig vor Erdoğan.
Selbst bei der religiösen Wählerschaft ist İmamoğlu beliebt, weil er sich als gläubig zu erkennen gibt und immer wieder auf die Konservativen zugeht. So ließ er im letzten Jahr für viel Geld ein historisches Porträt von Sultan Mehmet Fatih bei Sothebys in London ersteigern.
Gerade deshalb versucht die Erdoğan-Regierung verzweifelt, İmamoğlu wenigstens bei der potentiell eigenen Wählerschaft anzuschwärzen. Doch Erdoğans Propaganda verfängt immer weniger. Seine ständigen Warnungen vor einem neuen Putsch, hält selbst der größte Teil der AKP-Wähler für unglaubwürdig. Stattdessen klagen auch viele Regierungsanhänger über die Inflation, hohe Lebensmittelpreise und Arbeitslosigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos