■ Politisch wurde eine Angleichung von Wehr- und Zivildienst schon lange gefordert. Nun soll es eine Zivildienstverkürzung von 13 auf 11 Monate geben. Aus Geldmangel.: Die Gleichstellung droht
Nein, Schwester Tanja kommt heute gar nicht. Der Mobile Soziale Hilfsdienst der Odenwälder Caritas hat den Zivildienstleistenden allein auf Pflegefahrt geschickt. Frank M. wird bei seinem Schützling diesmal nicht „den täglichen Bollen“ – festen Kot – aus dem Bett machen können. Herr Schäfer hat Durchfall, sein Laken ist über und über beschmiert. Frank flucht innerlich. Nicht über die eklige Situation. Frank M. ist genervt, weil der Pflegenotstand auf seinem Rücken ausgetragen wird.
Etwas Sinvolles wollte er tun, anstatt bei der Bundeswehr auf den Ernstfall zu warten und sich von Unteroffizieren herumkommandieren zu lassen. Jetzt sieht er, dass für ihn jeden Tag der Ernstfall ist. 13 Monate lang. Drei Monate länger als beim Bund.
Doch das soll künftig anders werden. Die rot-grüne Bundesregierung will den zivilen Ersatzdienst verkürzen. Statt 13 Monaten soll er für die Zivis – derzeit sind es 138.000 – nur noch 11 dauern. Das jedenfall versprach am Montagabend Familienministerin Christine Bergmann (SPD) den Zivildienstleistenden im Berliner Universitätskrankenhaus Charité. Eingerahmt von drei baumlangen Hilfspflegern der Mildtätigen (Charité), blickt die Ministerin in die Kamera, auf ihrer Stirn die eine oder andere Sorgenfalte fürs Fernsehpublikum. Ihre Botschaft: Der Zivildienst ist wichtig, wir werden etwas für euch tun.
Mit rot-grüner Mildtätigkeit hat die lange verlangte Kürzung des Ersatzdienstes nichts zu tun. Auch nichts mit dem Reformeifer, für den Bergmann als Arbeitssenatorin in Berlin so gefürchtet war. Rot-Grün muss sparen.
Mit einem hübschen Trick will Bergmann für Rot-Grün ihren gesellschaftspolitischen Coup landen: Sie kürzt, wie lange gefordert, die Dienstpflicht. Und die um zwei Monate gekürzte Dienstpflicht führt außerdem zu einer Stellenreduzierung. Statt rund 138.000 Zivildienstleistende zu bezahlen, muss das Sozialministerium 2003 nur noch für 110.000 Wehrdienstverweigerer Etatmittel aufbringen. Das bringt ihr ein Einsparvolumen von 660 Millionen Mark, drei Viertel der Sparsumme des Familienministeriums. „Die Sparnotwendigkeit und der politische Wille fallen zusammen“, freut sich Bergmanns Staatssekretär Peter Haupt. „Die sollen mal schneller machen, damit ich auch noch was von der verkürzten Dienstzeit habe“, nölt ein Charité-Zivi, als die Ministerin das Krankenhaus wieder verlassen hat.
Bei den politischen Vertretern der Zivis ruft die rot-grüne Ankündigung Bitterkeit hervor. „Die Freude hält sich in Grenzen“, sagt Paul Betz knapp. Die Verkürzung auf elf Monate ist zu wenig, findet der Aktivist der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer“. Denn „alles andere als Gleichberechtigung ist Diskriminierung“, mäkelt er.
Jahrelang hat Betz in der Grünen-nahen Organisation dafür gekämpft, dass Zivildienstleistende nicht schlechter gestellt sind als Soldaten. Noch im Januar hatte die Grünen-Wehrexpertin Angelika Beer Hoffnung auf einen gleich kurzen Dienst gemacht. Und nun das: SPD und Grüne verkürzen den Ersatzdienst aus Geldsorgen.
Rote Zahlen befürchtet man auch bei den Wohlfahrtsverbänden. Für sie sind Zivildienstleistende oft zur Notwendigkeit geworden. „Die Kürzung wird uns erheblich treffen“, skizziert Ulrich Schneider vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband das Problem. Nur noch sieben Monate bleiben die Zivis netto in den Einrichtungen des Paritätischen – der Rest des dann elfmonatigen Dienstes geht für Einführung und Ausbildung drauf.
Mancher Träger sieht überhaupt keine Schwierigkeiten ohne die Zivis. „Wir hätten eine schlechte Personalplanung, wenn das ein Problem für uns wäre“, sagt Edwin Kaiser. Der Personalchef des Waldkrankenhauses Köppern im Taunus gibt sich nicht ohne Grund so professionell. Zivis dürfen eigentlich ohnehin nur als „zusätzliche Kräfte“ eingesetzt werden. Sie sollen keine reguläre Arbeitskraft verdrängen – so will es die Theorie.
Die Praxis sieht anders aus. Den Rettungsdiensten droht ein Engpass, weil 3.600 Zivis wegfallen. Nun wissen die Dienste nicht, wen sie in den Rettungswagen neben den Arzt setzen sollen. Auch in den Sonderkindergärten und bei der Assistenz von Schwerstbehinderten wird die Arbeit nicht einfacher. „Hauptamtliche Pfleger könnte hier überhaupt niemand bezahlen“, schildert Günter Famulla von der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen. Zivis schlagen nur mit Hilfsarbeiterlöhnen zu Buche: 18.000 bis 24.000 Mark kostet einer.
Vielleicht wird der Zivildienst ja noch weiter verkürzt, wenn der Wehrdienst nur noch sieben oder gar fünf Monate dauert. Schon der Gedanke ärgert Famulla: „Dann kann man den Zivildienst auch gleich abschaffen.“
Christian Füller, Georg Gruber
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