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Politisch Verfolgte genießen Asylrecht

■ Massendemonstration in Bonn für den Erhalt des Grundgesetzartikels 16

Rund 200.000 Menschen am Samstag in Bonn, mehr als 300.000 am Sonntag zuvor in Berlin: Erstmals seit der Auseinandersetzung um die Nachrüstung finden in Deutschland wieder Massendemonstrationen dieser Größenordnung statt. Anfang der achtziger Jahre ging die Angst vor dem Atomtod um, heute treibt die Befürchtung vor neuerlichem Nationalismus und Rassismus die Menschen auf die Straße. Sie demonstrieren für den Erhalt des Asylrechts als Ausdruck einer der wesentlichen Konsequenzen, die die Bundesrepublik aus dem Faschismus gezogen hat. Sie treten ein für eine offene Gesellschaft, die einem völkischen Rückfall widersteht.

Am Samstag erinnerte der Generalsekretär von amnesty international in Deutschland die Delegierten des heute beginnenden SPD-Parteitages an ihre Verantwortung: „Wir verteidigen den Artikel 16 deshalb, weil wir nicht morgen mit der Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention und übermorgen mit der völligen Abschaffung des Asyls konfrontiert sein wollen.“

Vor gut zwei Monaten standen wir fassungslos vor der entfesselten rechtsradikalen Gewalt in Rostock und den gleichzeitig verkündeten Beschlüssen der SPD-Spitze auf dem Petersberg. Der Rückmarsch in ein nationalstaatlich borniertes Vaterland mit Hilfe der Sozialdemokraten schien in vollem Gange. Doch der doppelte Schock von Rostock und Petersberg hat die linke bis liberale Öffentlichkeit endlich aus ihrer Lethargie gerissen. Auch viele Mitglieder der SPD begriffen sofort, daß es bei der Asyldebatte um mehr als nur eine technische Ergänzung des Grundgesetzes geht.

Letztlich geht es gar nicht um Flüchtlinge oder deren Unterbringungsprobleme. Es geht darum, in welcher Republik wir zukünftig leben wollen. Es geht darum, ob das neue Deutschland künftig die Schotten dicht macht — nicht nur im Sinne einer verschlossenen Grenze, sondern der Mauer im eigenen Kopf. Ob deutsch sein wieder einen anderen, vermeintlich überlegenen Klang bekommt, ob eine Gesellschaft, die längst in einer kulturellen Vielfalt lebt, wieder auf eine ethnische Monokultur reduziert werden soll. Selbstverständlich wird dieser Zusammenhang von den Betreibern einer Asylrechtsdemontage in der SPD heftig bestritten. Der Artikel 16 sei nicht dazu gemacht, die heutigen Probleme der Zuwanderung nach Deutschland zu lösen, er passe nicht mehr in die Zeit, sei einer europäischen Harmonisierung im Wege und überhaupt ein Anachronismus, der letztlich nur den Rechtsradikalen nutze.

Zurecht ist für die Art und Weise, in der die „Asyldebatte“ in Deutschland geführt wurde, das Bild von den Biedermännern und Brandstiftern gebraucht worden. Die SPD-Führung kann sich nicht mit dem Verweis aus der Verantwortung stehlen, es ginge doch nur um eine Modernisierung und nicht um den Abriß des Grundrechts auf Asyl. Auch wenn den Delegierten des Sonderparteitages heute ein Kompromißpapier des Parteivorstandes vorliegt, hat der Parteitag für die Zukunft der Republik eine entscheidende Bedeutung. An diesem Tag müssen die Sozialdemokraten deutlich machen, wofür sie stehen und was sie für verhandelbar halten, ob sie einen Kompromiß mit einer Partei wie der CSU aushandeln wollen, die schon vor Jahren gegen die „durchraßte Gesellschaft“ polemisierte.

Aus diesem Anlaß erscheint die taz heute mit einer Ausgabe, die nur dem Thema „Asyl“ gewidmet ist. Prominente Stimmen aus dem In- und Ausland – wie Elie Wiesel, Ralph Giordano, Horst-Eberhard Richter und Jens Reich – analysieren die Bedeutung des Asylrechts und die gegenwärtige innenpolitische Situation Deutschlands, in der die SPD ihre Entscheidung trifft. Nicht zuletzt geben wir Exponenten der Debatte innerhalb der SPD wie Gerhard Schröder und Georg Kronawitter Gelegenheit, ihre Entscheidung zu begründen. Mit der heutigen taz wollen wir dazu beitragen, daß die Diskussion um die Zukunft der Republik in aller Klarheit geführt wird.

Jürgen Gottschlich

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