Politik: Kein Import von toten Flüssen
Baden-Württemberg verbraucht heute drei Mal so viel Metall wie vor zehn Jahren. Ein Staatssekretär aus dem Umweltministerium lobt aber, dass ein paar Schraubenmuttern für Daimler Truck jetzt 12 Gramm weniger wiegen. Eine Studie zum Rohstoffhunger beleuchtet die Lage.
Von Samuel Bosch
Im Süden der Demokratischen Republik Kongo ist es kürzlich wieder zum Einsturz einer Mine gekommen. Mindestens 100 Menschen sind dieses Mal gestorben. Ihre geschürften Rohstoffe wie Gold werden – laut der Tagesschau – in Nachbarländer geschmuggelt. So lassen sich das echte Herkunftsland und damit die Menschenrechtsverletzungen beim Abbau nicht zurückverfolgen. Am Ende landen Metalle wie Kobalt, Kupfer und Coltan in wohlhabenden Regionen wie Baden-Württemberg, um dort unseren immer größer werdenden Bedarf an Technologie und Luxus zu stillen.
Der Ressourcenhunger im deutschen Südwesten ist enorm. Bezahlt wird er mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Förderländern. Metalle sind besonders begehrt: Obwohl in Deutschland der Metallverbrauch mit 1,5 Tonnen pro Person und Jahr viel höher ist als der weltweite Durchschnitt, findet hierzulande kaum Abbau statt – mit den Folgen für Mensch und Umwelt müssen sich andere Regionen herumschlagen.
In Baden-Württemberg ist der Ressourcenverbrauch pro Person sogar mehr als doppelt so hoch (3,2 Tonnen pro Jahr) wie im deutschen Durchschnitt. Und er wächst: Allein von 2010 bis 2021 hat der inländische Metallverbrauch in Baden-Württemberg um 284 Prozent zugenommen, sich also beinahe verdreifacht. Der Großteil dieses Bedarfs geht auf die Umstellung vieler Infrastrukturen zurück. Zum Beispiel auf die Energiewende und Elektroautos.
Politik tendiert zur Augenwischerei
Diese Zahlen stammen aus einem Zwischenergebnis der Studie „Rohstoffbedarf BW: Analyse, Risikobewertung und Zukunftskonzepte“, kurz „RoBW“. Darin ermittelten Wissenschaftler:innen des Heidelberger ifeu-Instituts für Energie- und Umweltforschung mit einem Rankingsystem, wie es um Rohstoffe in den Kategorien Menschenrechte, Umwelt, wirtschaftliche Bedeutung, Stabilität des Herkunftslandes (Risiko) und verbrauchte Menge steht. Sie stellen fest, dass die fünf konfliktreichsten Rohstoffe für Baden-Württemberg Aluminium, Kobalt, Lithium, Kupfer und Wolfram sind. Auf dieser Grundlage haben die Forschenden dann mit Akteur:innen in den Hauptabbauländern gezielte Interviews geführt. Tote Flüsse in Peru, die Zerstörung von Friedhöfen in Simbabwe und die Vertreibung der lokalen Bevölkerung in der Demokratischen Republik Kongo sind nur wenige Beispiele für all die Folgen des Rohstoff-Extraktivismus. Dass sich die „Investitionsentscheidungen an sozialen und ökologischen Kriterien orientieren“ könnten, ist einer von vielen Lösungsvorschlägen an Banken und Unternehmen. Finanziert hat die Studie das baden-württembergische Umweltministerium.
Bei der Vorstellung der Ergebnisse auf der Herbstkonferenz des Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg (DEAB) kommen Expert:innen und Engagierte aus der „Eine-Welt-Bewegung“ sowie Politiker:innen aus Baden-Württemberg zusammen. Im Namen des Umweltministeriums hielt der Staatssekretär Andre Baumann (Grüne) eine Rede in Vertretung für die Ministerin Thekla Walker (Grüne).
Baumann wirkte bemüht, die negative Gesamtbilanz durch ein positives Beispiel zu verschönern. So berichtete er, dass es auch Ressourceneinsparung beim Metallverbrauch gebe, etwa habe ein Zulieferer von Daimler Trucks Muttern mit 12 Gramm weniger Stahl entwickelt – an sich eine schlaue Sache. Doch der Staatssekretär erklärte nicht, wie Änderungen dieser Art den verdreifachten Metallbedarf einfangen sollen.
EU will weiter vom Leid profitieren
Nach der Vorstellung der Studie durch die Wissenschaftlerin Sonja Limberger diskutierte sie auf dem Podium mit den Landtagsabgeordneten Thomas Marwein (Bündnis 90/Grüne), Sebastian Cuny (SPD) und Albrecht Schütte (CDU), die alle eine etwas zu gleichgültige Stimmung ausstrahlten. Man konnte einen Eindruck gewinnen, warum so wenig passiert: Parteiübergreifend scheinen die Abgeordneten das Thema nicht wirklich verstanden zu haben. Der Grüne Marwein verortete die Hauptschuld für die Probleme bei Diktaturen und korrupten Systemen in den afrikanischen Abbauländern, die eine gerechte Rohstoffgewinnung schwierig machen würden – die eigene Verantwortung reicher Länder beim Extraktivismus spielt da keine Rolle. Forscherin Limberger forderte in der Diskussion schließlich dazu auf, dass Deutschland sich mit seiner Kolonialgeschichte auseinandersetzen sollte. Diese reiche nämlich bis in die heutige Zeit.
Die meisten Länder des Südens sind zwar heute unabhängig verfasste Staaten, aber wirtschaftlich weiterhin abhängig. Europäische Konzerne kommen und „kaufen“ Rohstoffe – zu Handelsbedingungen, deren Machtverhältnisse denen der Kolonialzeit sehr ähnlich sind. Die lebensbedrohliche Drecksarbeit zu Hungerlöhnen bleibt an den Menschen in den Förderländern hängen und die lukrative Weiterverarbeitung findet im globalen Norden statt. Bei der Autoindustrie, dem wichtigsten Wirtschaftszweig für Baden-Württembergs Wohlstand, ist die Wertschöpfungsdifferenz besonders groß. Am Verkaufspreis eines Autos machen die Kosten der Rohstoffgewinnung nur einen Bruchteil aus.
Die EU hat indessen erst ihr Lieferkettensorgfaltsgesetz entkernt. Daneben gibt es aber auch höhere Zölle auf verarbeitete Produkte, um die Wertschöpfung in der EU zu halten. Nur Rohmaterialien kommen kostengünstig in die EU. Im Gegensatz dazu empfehlen Limberger und ihre Kolleg:innen in der Studie, dass erstens ein Handel mit Ressourcen auf Augenhöhe im Austausch mit lokalen Akteuren und zweitens die Weiterverarbeitung in den Förderländern notwendige Maßnahmen sind.
In den Interviews mit Expert:innen vor Ort sei klar geworden, dass die Menschen nicht grundsätzlich gegen Ressourcengewinnung in ihrem Land sind. Aber sie möchten mitreden. Farai Maguwu von „Center for Natural Resource Governance“ (CNRG) aus Simbabwe sagt: „Wir würden uns wünschen, dass Unternehmen mit uns in den Dialog treten. Von unseren Erfahrungen lernen. Sich beraten lassen, wie sie am besten operieren können, ohne der lokalen Bevölkerung und der Umwelt zu schaden.“
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