Politik: Vom Wahlzettel zur Wohnung?
Aufs Land ziehen, in die Höhe bauen, Baulücken schließen – es gibt viele Ideen, wie die Wohnungsnot gelindert werden kann. Auch in Karlsruhe werben die Parteien mit unterschiedlichen Lösungen, die eins gemeinsam haben: Schnell werden sie nichts ändern an der prekären Situation.
Von Florian Kaufmann
Den ganz „normale Wahnsinn“ erlebt Patrick Weiß bei seiner Wohnungssuche. Der junge Mann heißt eigentlich anders und sucht seit etwa einem halben Jahr zwei Zimmer für sich in Karlsruhe. „Obwohl ich kaum Faktoren habe, die mich einschränken, also zum Beispiel ein Kind, sind meine Erfahrungen durchweg negativ.“ Fast 100 Vermieter:innen habe er angefragt. Antworten oder gar Termine zur Besichtigung seien kaum zurückgekommen. Weiß ist damit nicht allein. Auch andere Wohnungssuchende sprachen mit Kontext über ihre zunehmend verzweifelte Suche. Wünsche an die Politik vor der Kommunalwahl im Juni? „Die Stadt soll endlich mal mehr Wohnraum schaffen“, heißt es einhellig.
In Karlsruhe fehlen bis 2035 über 14.000 Wohnungen. Das Ziel, bis dahin allen Suchenenden eine Wohnung in Karlsruhe bereitzustellen, hat die Stadt in ihrer Stadtentwicklungsstrategie 2035 bereits aufgegeben. Stattdessen schiebt sie das Problem ab: 4.000 wohnungssuchende Haushalte sollen demnach ins Karlsruher Umland ausweichen. Doch selbst wenn sich wirklich so viele Menschen außerhalb der Stadt ansiedeln wollen, ist die Stadt von ihrer eigenen Zielvorgabe von knapp 1.000 neuen Wohnungen pro Jahr weit entfernt. In den vergangenen Jahren schaffte sie im Schnitt gerade mal 450 neue Wohnungen.
Eine schnelle Trendwende ist nicht abzusehen. Die Zahl der Baugenehmigungen lag in den vergangenen Jahren zwar bei etwa 650 Wohnungen, aber damit immer noch unter der eigenen Zielsetzung.
Am heftigsten trifft die Wohnungskrise sozial schwache Menschen. In Baden-Württemberg erhöhten sich die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um fast 20 Prozent. Noch stärker stiegen die Preise in Großstädten, wo bezahlbarer Wohnraum mittlerweile kaum mehr zu finden ist. Seit 2010 reduzierte sich in Karlsruhe die Anzahl günstiger, weil geförderter Wohnungen um fast ein Drittel. Es wurden längst nicht so viele neue Wohnungen gebaut wie aus der Mietbindung verschwunden sind. Alleine beim städtischen Wohnungsunternehmen Volkswohnung stehen über 10.000 Haushalte auf der Warteliste für eine neue Wohnung.
Nachverdichtung in der Innenstadt
Angesichts der großen Herausforderungen geben sich die Parteien vor der Kommunalwahl problembewusst. Eine schnelle Lösung will aber niemand versprechen. Angesichts knapper Flächen in der Stadt sehen die Grünen noch Potenziale in der Nachverdichtung. „Wir wollen den Bau von Mehrfamilienhäusern konsequent voranbringen“, sagt Aljoscha Löffler, Fraktionsvorsitzender der noch stärksten Fraktion im Karlsruher Gemeinderat. Das gesamtstädtische Interesse an bezahlbaren Wohnraum müsse über Proteste der Nachbarschaft gestellt.
Vor einer zu engen Bebauung warnt dagegen das Klimabündnis Karlsruhe. „Nachverdichtung darf nicht dazu führen, dass Grünflächen versiegelt, Bäume gefällt, Innenhöfe zugebaut, Frischluftschneisen zerstört werden und dass der Hitzestress für die dort lebenden Menschen erhöht wird.“ Denn die Voraussagen sind eindeutig und schon heute spürbar. Die Klimakrise wird vor allem in den dicht bebauten Gebieten der Großstädte zu einer deutlichen Erwärmung führen. Während die Grünen die Umwandlung bereits versiegelter Höfe oder Garagengrundstücke zu Wohnraum mit Grünanlagen vorschlagen, setzt die FDP aufgrund des Hitzestresses auf Blockrandbebauung und Wohnraum auf Supermarkt-Parkplätzen. CDU und SPD setzen darauf, dass mehr Stadtgrün die Folgen der Nachverdichtung lindern würden.
Höhe statt Breite
Doch Nachverdichtung mit der Bebauung ungenutzter Areale alleine dürfte den großen Wohnraumbedarf nicht decken, dafür gibt es zu wenig freie Flächen in der Stadt. Eine Ausweitung des Stadtgebiets schließen die meisten Parteien aber aus. Und selbst wenn es so weit käme: Auch dort müssten für Naubauten Flächen versiegelt werden, was wiederum nicht gut fürs Klima wäre. „Als Grüne verfolgen wir das Ziel der sogenannten Netto-Null beim Flächenverbrauch. Wir wollen, dass in Karlsruhe nur noch maximal so viele Flächen entwickelt werden wie im Flächennutzungsplan vorgesehen“, sagt Löffler.
Stattdessen soll Karlsruhe in die Höhe wachsen. „Die Höhenentwicklung von Gebäuden bietet in vorhandenen Gebieten Möglichkeiten Flächen zu gewinnen, ohne neue Gebiete zu beanspruchen“, meint etwa die SPD. Die CDU will beim Höhenwachstum „behutsam“ vorgehen. Die Freien Wähler wollen hingegen durch eine bessere Verkehrsanbindung mehr Menschen aus der Stadt in die Umlandgemeinden locken. Ein anderes Potential will die FDP erschließen. Im Karlsruher Rheinhafen ist Wohnen bislang nur im begrenzten Umfang möglich. Dies hätte aus Sicht der Partei auch einen Klimavorteil. „Wir fordern neuen Wohnraum dort zu schaffen, wo bereits Fläche versiegelt ist.“
In der Konkurrenz um knappe Flächen gerät Wohnraum gegenüber gewerblichen Interessen unter Druck. Die Linke fordert daher, dass ein Zweckentfremdungsverbot die Umwandlung von Wohnraum beispielsweise in Büros untersagt. Auch konsequent angewandte Milieuschutzsatzungen könnten mehr bezahlbaren Wohnraum erhalten. „Die Stadt Karlsruhe müsste eine Kehrtwendung machen und gute und bezahlbare Wohnungen zum vorrangigen Ziel kommunaler Politik machen“, heißt es im Linken-Programm. Beim Neubau sollten Investoren mit der Auflage einer höheren Quote für Sozialwohnungen gezwungen werden, mehr günstigen Wohnraum zu schaffen. Bislang liegt die geforderte Quote für diesen geförderten Wohnraum bei bis zu 30 Prozent eines Neubauprojekts.
Sparhaushalt bremst Wohnungsbau
Doch wer soll angesichts der Krise in der Baubranche die erforderlichen Wohnungen überhaupt bauen? Vonovia hatte angekündigt, auch in Karlsruhe den Wohnungsbau zu stoppen. Die Projekte der Gröner Group stocken seit Langem. Bis zu 250 Wohnungen pro Jahr soll daher die städtische Wohnungsbaugesellschaft Volkswohnung bauen. Doch die steigenden Bau- und Zinskosten treffen auch sie. Und dass der Gemeinderat im vergangenen Jahr beschlossen hat, Teile der Überschüsse der Volkswohnung in den Stadthaushalt umzulenken, hilft auch nicht gerade beim Bauen.
„Die Volkswohnung – und damit die Mieten – dürfen nicht zur Sanierung des städtischen Haushalts genutzt werden“, sagt der Grüne Löffler. Auch die Linke und die FDP wollen die Entscheidung nun rückgängig machen. „Es ist bei dem angespannten Wohnungsmarkt schändlich, dass eine Gemeinderatsmehrheit der Meinung war, der Volkswohnung Geld zu entziehen“, so die FDP. 3,5 Millionen Euro würden der Volkswohnung durch die Entscheidung aktuell fehlen, heißt es von der Linksfraktion. „Das ist Geld, das für bezahlbare Mieten, für Sanierungen und als Eigenkapital für Wohnungsneubau fehlt.“
Bei der SPD, der Partei des Oberbürgermeisters, will man hingegen vor allem bestehende Instrumente wie die Wohnraum-Akquise durch Kooperation ausbauen. Darüber hinaus sollen bestehende Flächen „effektiver“ genutzt und eine „Stabsstelle Wohnungsbau“ geschaffen werden. Konkreter wird es nur bei einem Punkt: Wohnungstausch, Untervermietung und Umzüge sollen gezielt unterstützt werden. Die CDU ist überzeugt, dass weniger Bürokratie den Wohnungsbau durch private Investoren ankurbeln würde.
Nicht nur mit Blick darauf scheint klar, einfache und vor allem schnelle Lösungen der Wohnungskrise sind auch nach der Kommunalwahl am 9. Juni nicht zu erwarten. Für Weiß und die anderen tausenden Wohnungssuchenden in der Stadt bleibt nur die Hoffnung auf einen Glückstreffer.
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