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PolitikRückabwicklung

Angestoßen von der Südwest-CDU gibt sich die Union ein neues, ihr viertes Grundsatzprogramm. Mitte Januar in Heidelberg wird der Bundesvorstand den Entwurf offiziell beschließen. Die 71 Seiten haben es in sich.

CDU-Chef Friedrich Merz setzt auf Stimmen von rechts. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Johanna Henkel-Waidhofer

„Wir schreiben auf, wie wir uns die Welt von morgen vorstellen“, sagt Generalsekretär Carsten Linnemann in Anlehnung an Pippi Langstrumpf. Wären die Zeiten weniger ernst, könnte das Papier mit all seinen Gemeinplätzen, Redundanzen, luftigen Behauptungen und den manchmal ebenso verwegenen wie undurchdachten Versprechen als Realsatire wahrgenommen werden. Aber die Zeiten sind ernst und die schwarzen Absurditäten sind es auch. Dieser Tage erfuhr die staunende Öffentlichkeit, dass es für Parteichef Friedrich Merz zur neuen Leitkultur sogar zählt, „vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen“. Das Biedermeier lässt grüßen.

Kuschelig geht es in diesem Geiste jedoch nicht zu. Schon auf der ersten Seite des Programmentwurfs wird schnörkellos verlangt, dass „alle, die hier leben wollen, unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen müssen (…) Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden“. Ob Generalsekretär Carsten Linnemann, der geistige Vater dieses Papiers, demnächst CDU-Mitarbeiter:innen von Haustür zu Haustür schickt, um Landsleuten und Migrant:innen einschlägige Bekenntnisse abzuzwacken? Sich an die Gesetze halten und auf eigenen Beinen stehen, sich zu engagieren, das alles reicht nicht mehr aus, um ein Teil der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu werden. An anderer Stelle wird sogar verlangt, die deutsche Leitkultur zu leben. Und spätestens mit dem Hinweis, dass wer dies tue, auch „eingeladen“ sei, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, wird aus Selbstbewusstsein Überheblichkeit.

Stramm nach rechts

Das Thema Leitkultur jedenfalls ist für die CDU nicht neu, die Tonlage ist es sehr wohl. Im 2007 vom Bundesparteitag in Hannover verabschiedeten und noch wenige Monate gültigen Grundsatzprogramm „Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland“ bilden kulturelle Werte und historische Erfahrungen „die Grundlage für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und unsere Leitkultur in Deutschland“. Die wiederum sei Basis für die gesellschaftliche Integration Zugewanderter, von der es damals hieß, sie führe „zu gleichberechtigter Teilhabe, zu wechselseitigem Verständnis und zugleich zur Identifikation mit unserem Land“.

Solche Einladungen kommen jetzt nicht mehr vor. Stattdessen geht es um „klare Erwartungen“, um „Anpassungen“, um „verpflichtende individuelle Integrationsvereinbarungen“ samt verpflichtenden Sprachkursen.

An die Umsetzbarkeit derartiger Visionen haben die Verfasser:innen keine Gedanken verschwendet, sonst wüssten respektive berücksichtigten sie das Faktum, dass deutschlandweit viel zu wenig Kurse im Angebot sind und Deutsch-Lehrkräfte Mangelware. Und so stehen solche Passagen nicht nur für den Rechtsruck, sondern sie illustrieren eine auffallende strukturelle Verwirrtheit. Denn viele Details bekommen ein ihnen nicht zustehendes Gewicht. In einem Grundsatzprogramm hat beispielsweise nichts verloren, dass – prominent platziert schon in Zeile 17 – einer kriminellen Tat „die Strafe auf dem Fuße folgen muss“, eine groteske Überforderung der Justiz. Und der Ruf nach Errichtung von Fahrradparkhäusern an Bahnhöfen ist für einen hehren Blick auf die Welt von morgen denn doch allzu kleingeistig.

Klimaschutz ist vor allem lästig

Ins schiefe Bild passen die bescheidenen Antworten auf große Fragen, allen voran der Kampf gegen die Erderwärmung. 2007 hatte sich die Partei eine umfangreiche Befassung mit der ökologischen Belastbarkeit geleistet, mit Energieeffizienz und -einsparung und sogar „einem umweltorientierten ordnungspolitischen Rahmen“, einer sanften Umschreibung von Ge- oder sogar Verboten. Einsichten, die nicht mehr viel zählen. „Klimaschutz geht nur marktwirtschaftlich“, heißt stattdessen eine der unbelegten und im Befehlston daherkommenden Behauptungen. Die Pariser Klimaziele sind nur noch „Richtschnur“.

Dabei ist ausgerechnet der gegenwärtig profilierteste Umweltpolitiker der Union einer der Hauptverantwortlichen für den gesamten Programmprozess. Andreas Jung, MdB aus Konstanz, hatte mit seinem Kreisverband beim Berliner Bundesparteitag vor fast sechs Jahren viel Zustimmung bekommen für den Antrag, ein neues Grundsatzprogramm in Angriff zu nehmen. Jung, inzwischen zum Parteivize aufgestiegen, lehnte damals „einen Rechtsruck entschieden ab“ und verlangte von der Union, sich „den Herausforderungen wie Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung im Lichte ihrer christlichen Werte zu stellen“. Andere schlugen schon damals andere Töne an. So rief Manuel Hagel, heute Fraktions- und Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, ausdrücklich nach einem „konservativen Impuls“.

Für die Transformation im Zeitraffer, die die Union seither erlebte, stehen die Personalrochaden. Auf dem Parteitag 2018 in Berlin wurde Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin gewählt. Sie wollte sich der neuen Grundsätze annehmen und bis 2020 einen Entwurf vorlegen, brückenbauend und als Weiterentwicklung der Ära Angela Merkel. Es kam anders: Merz, Merkels Intimfeind, wurde Parteichef und die Modernisierung der CDU Schritt für Schritt rückabgewickelt. Sein erster Generalsekretär Mario Czaja versprach „durchzulüften“ und forderte die Mitgliedschaft auf, „sich ein Bücherregal vorzustellen mit drei Bänden voll von Grundsätzen und Werten der CDU Deutschlands“. Jetzt komme ein vierter dazu.

Dass der dünn sein wird, nicht nur wegen der mageren 71 Seiten, verantwortet sein Nachfolger Linnemann. „Die CDU muss einfach sehr viel Welt ausblenden, um ihr Weltbild aufrechtzuerhalten, sie muss eine schwer erträgliche Schneidigkeit an den Tag legen, um ihre tiefe Verunsicherung zu überspielen“, schreibt Bernd Ulrich in der „Zeit“ in seiner Rezension des Entwurfs. Diese endet mit dem Trost: „Die CDU kümmert sich kaum um Programme, sie verabschiedet sie und dann: tschüss.“ Was allerdings noch nicht in ganz trockenen Tüchern ist, denn es rumort, nicht nur unter den üblichen Verdächtigen in den sozialen Netzwerken, angeführt vom früheren Generalsekretär Ruprecht Polenz. Ginge es nach ihm, würde auf den Begriff Leitkultur ganz verzichtet. „Das Grundsatzprogramm ist noch nicht beschlossen, es wird noch diskutiert“, lässt Daniel Günter ausrichten. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein ist einer der letzten Merkelianer in der Parteispitze.

Erst einmal wird auf der Vorstandsklausur in Heidelberg das Papier vollständig und offiziell präsentiert. Dann sind wieder die Mitglieder am Zug. Die hatten schon im vergangenen Frühjahr bei einer Umfrage Themen wie Stärkung der Inneren Sicherheit, Investitionen in neue Technologien, den Ausbau Erneuerbarer Energie, den Schutz von Freiheit und Menschenwürde, aber auch schnellere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber:innen nach oben gerankt.

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