Politik: Rechts abbiegen
CDU und CSU sind auf keinem guten Weg. Das zeigen die Allianz mit der AfD gegen das Gendern in Thüringen, die Vorbeugehaft für Mitglieder der „Letzten Generation“ in Bayern oder die vielen Fake-News zur Diskreditierung des Bürgergelds. Immer ganz vorne mit dabei: Schwarze aus dem Südwesten.
Von Johanna Henkel-Waidhofer
„Fischen bei der AfD“ nennen Grüne im Landtag das, was CDU-Abgeordnete gerade versuchen. Wenn sie, wie Winfried Mack aus dem Wahlkreis Aalen meinen, von „den Bürgern“ behaupten zu müssen, die wollten nicht, „dass den Notleidenden der Anreiz zur Arbeit, der Anreiz zum Energiesparen, der Anreiz zur Eigenverantwortung genommen wird“. Die wüssten, „wie sie mit dem, was sie mit ihrer Hände Arbeit verdienen, dieses verfehlte, ungerechte System bezahlen müssen“. Oder die Wirtschaftsministerin. Nicole Hoffmeister-Kraut, Miterbin bei Bizerba, ist eigentlich eine freundliche Frau. Keine Scharfmacherin, nicht besonders profiliert, aber verlässlich auf der Seite der Arbeitgeber:innen. Etwa wenn es darum geht, angeblich zu hohe Mindestlöhne zu kritisieren und die Tarifbindung zu problematisieren. Jetzt singt die 50-jährige Volkswirtin die Leistung-muss-sich-wieder-lohnen-Arie mit.
Steuerhinterziehung schadet deutlich mehr
Ein garstig Lied, das harmlos klingt und doch seit Jahrzehnten vorrangig zwei Zwecken dient: denen unten Beine machen und denen oben ein gutes Gewissen beim Zulangen. Ersteres verbirgt sich hinter dem technokratischen Begriff vom Lohnabstandsgebot. Ihm zufolge muss staatliche Hilfe für einen warum auch immer arbeitslosen Menschen prinzipiell deutlich unter dem Einkommen der Menschen „aus der hart arbeitenden Mitte der Gesellschaft“ liegen, die „jeden Morgen früh aufstehen“. So jedenfalls die derzeit wieder inflationär verbreitete Floskel, mit der sich die Unionsparteien (und nicht nur sie) seit eh und je lieb Kind machen wollen beim Wahlvolk. Hoffmeister-Kraut verantwortet ein Papier, erstellt mit ihren Kolleg:innen aus Bayern, NRW und Schleswig-Holstein, in dem der Bogen zum Bürgergeld geschlagen wird: „Bei der Betrachtung künftiger Leistungen insgesamt, ist das Lohnabstandsgebot zu wahren.“
Die aufgeheizte Debatte ist auch deshalb exemplarisch für den Rechtsruck in der Union, weil alte Positionen abgeräumt werden in der Hoffnung, möglichst wenige würden sich daran erinnern. Zum Beispiel, dass Dieter Althaus, damals Ministerpräsident von Thüringen, 2007 sogar ein eigenes Konzept für ein „solidarisches Bürgergeld“ vorgelegt hat. „Wenn wir von den Bürgerinnen und Bürgern mehr Eigenverantwortung erwarten, dann bedeutet das auch, dass wir ihnen in einem ganz besonderen Maße Vertrauen entgegenbringen“, argumentierte er diametral gegensätzlich zu seinen Parteifreund:innen von heute. Hoffmeister-Kraut weiß inzwischen sogar, dass bundesweit überhaupt nur gegen drei Prozent der Leistungsempfänger:innen Sanktionen verhängt werden, weil sie gegen Auflagen verstoßen. Für die Ministerin sind das „Dauerverweigerer“, denen „die Grenzen aufgezeigt“ werden müssen. Sogar Marcel Fratzscher, immerhin Chef des arbeitgebernahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), fühlt sich bei solchen interessengeleiteten und ideologiegetriebenen Auslassungen „zur Einordnung“ aufgerufen. Deutschland, sagt er, habe sehr viel größere Probleme als beispielsweise Betrug durch Hartz-IV-Bezieher:innen: Hier entstehe ein Schaden von 60 Millionen Euro, durch Steuerhinterziehung hingegen hundert Milliarden.
CDU testet Zusammenarbeit mit der AfD
Stephanie Aeffner, die Pforzheimer Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bürgergeld-Spezialistin, hat sogar einen Faktencheck zusammengestellt, aber Argumente zählen nur noch wenig in der neuen Merz-CDU, auch auf anderen Politikfeldern. Um bei der Wählerschaft und speziell im rechten Teich zu angeln, deuten die Strateg:innen im Konrad-Adenauer-Haus den Kurswechsel gerade im Umgang mit sensiblen Themen zumindest schon einmal an. In Thüringen wurde getestet, wie die partielle Zusammenarbeit mit der AfD ankommen könnte.
Die Schwarzen in Erfurt wussten ganz genau, was sie taten, als sie ihren Antrag „Gendern? Nein danke!“ vorlegten. Nur mit der AfD konnte eine Mehrheit für haltlose Behauptungen zustande kommen wie die, „dass die Verwendung der sogenannten Gendersprache Ausdruck einer ideologischen Auffassung ist, die das biologische Geschlechtersystem von Männern und Frauen infrage stellt“. Nicht nur im Parlament und von der Landesregierung, sondern auch in Schulen, Hochschulen, Justiz und Rundfunk solle auf eine Anwendung der sogenannten Gendersprache verzichtet werden. Der Zwang dazu sei ausgrenzend, argumentierte CDU-MdL Christoph Zippell, und zwar für rund sechs Millionen Menschen in Deutschland, die nicht richtig lesen und/oder schreiben können.
Der bundesweite Aufschrei blieb aus. Die „Welt“ erinnert stattdessen an ein Positionspapier, wonach „gewisse Berührungspunkte“ zwischen Union und AfD „sich im parlamentarischen Alltag nicht vermeiden“ lassen. Als die AfD 2021 selber einen Antrag gegen das Gendern einbrachte, war dieser Tatbestand offenbar noch nicht gegeben, in der vergangenen Woche schon. „Der Kardinalfehler, den die CDU-Fraktion leider immer wieder begeht“, so die Erfurter Grüne Laura Wahl, „ist, dass sie denkt, sie könne Wähler:innen von der AfD zurückgewinnen, indem sie AfD-Positionen übernimmt.“ Dabei stärke sie damit nur das Original. „Bemerkenswert ist der Beschluss nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Art, wie er zustande kam“, weil eben doch sehr genau nach Thüringen geschaut werde, schreibt der österreichische „Standard“. Seit Jahren ist er sensibilisiert im Umgang mit populistischen Bündnissen, nachdem bereits zwei ÖPV-Kanzler – Wolfgang Schüssel und Sebastian Kurz – sich von der Rechtsaußen-Opposition FPÖ ins Amt hatten hieven lassen.
Es geht nach rechts in Europa
Dänemark schrammte nur knapp an einem Rechtsruck vorbei. In Österreich stürzten ÖVP und FPÖ sich selber und die ganze Republik ins Chaos, wovon nicht die Mitte, sondern allein Rechtsaußen profitiert. Auf dem Balkan geben sich nationalistische und populistische Bündnisse die Klinke in die Hand. Italien wird regiert von Mussolini-Fans. CDU-Bundesvorsitzende – auch Friedrich Merz mit seinem Bild von der „Brandmauer“ gegen rechts – haben die Union im Vergleich dazu bisher auf Kurs gehalten. Zum Anti-Gender-Appell schwieg Merz allerdings beredt. Und sein neuer bester Buddy, Bayern Ministerpräsident Markus Söder (CSU), hat die rechte Kurve längst genommen. Nach Angaben der Münchener Polizei hocken zwölf Klimaaktivisten im Knast, weil das Polizeigesetz erlaubt, sie durch diese Art der Prävention von irgendwelchen Missetaten abzuhalten.
Man wolle, so das bayrische Innenministerium, „Terroristen, aber auch sonstigen Kriminellen frühzeitig auf die Spur kommen und Anschläge oder kriminelle Taten wirksam verhindern“. Die 2021 eingeführte Präventivhaft in Bayern sei der Bevölkerung verkauft mit dem Verweis auf brandgefährliche islamistische Attentäter, erinnert die „Süddeutsche Zeitung“. Jetzt wird dieses Mittel angewendet auf Klimademonstrant:innen, deren brandgefährlicher Terrorismus darin besteht, den Autoverkehr zu behindern und so die Aufmerksamkeit auf Anliegen zu lenken, die die Anliegen aller sein sollten. Die Conclusio des Münchner Blatts könnten sich Unionspolitiker:innen hinter den Spiegel stecken: „Die Radikalisierung der harten Durchgreifer angesichts des bisher friedlichen Protests der „Letzten Generation“ ist für die freie Gesellschaft aktuell gefährlicher als eine mögliche Radikalisierung einiger Klimademonstranten.“
Strobl gibt den Hardliner, Kretschmann hört zu
Der wichtigste harte Durchgreifer im Südwesten heißt Thomas Strobl (CDU). Der hält die Aktionen der Aktivist:innen – „Schon den Namen Letzte Generation finde ich außerordentlich anmaßend“ – für „illegal“. Das seien keine friedlichen Proteste, und deshalb würden sie „mit aller Konsequenz ermittelt, verfolgt und die Straftäter der Justiz zugeführt“. Mal in Fahrt gekommen macht der Innenminister gleich weiter mit einer „persönlichen politischen Bemerkung“, weil „absolut inakzeptabel ist, wie man in Kauf nimmt, dass der Rettungsdienst aufgehalten wird und Menschenleben gefährdet“.
Wen schert es, dass diese Behauptung längst widerlegt ist. Einen jedenfalls gar nicht. Denn neben seinem Stellvertreter auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung sitzt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in aller Herrgottsruhe, nimmt hie und da einen Schluck Wasser, wiegt vorsichtig sein Haupt, fühlt sich aber überhaupt nicht aufgerufen, einzugreifen und die Deutungshoheit an sich zu ziehen. Wieder einmal geht der Koalitionsfriede über alles andere.
Mindestens zwei Mal in ihrer jüngeren Geschichte hat die CDU mit ihrem Ruck nach rechts die politischen Verhältnisse in Baden-Württemberg entscheidend verändert. Anfang der Neunziger mit der unsäglichen Das-Boot-ist-voll-Rhetorik in der Flüchtlingspolitik, die für zwei Legislaturperiode die „Republikaner“ ins Parlament schwemmte. Und 2016, als in Abkehr von Angela Merkels „Wir schaffen das“, wieder Populist:innen so sehr nach dem Munde geredet wurde im Wahlkampf, dass die AfD in den Landtag einzog, um zu bleiben. Die jüngste Umfrage sieht die Schwarzen zum ersten Mal seit zwei Jahren mit 28 Prozent ein Pünktchen vor den Grünen und die Rechtsaußen-Opposition wieder satt zweistellig. Wer die Zahlen richtig interpretieren will, könnte die Warnzeichen lesen. 2025 ist Bundes- und 2026 Landtagswahl.
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