: Politik der Ausgrenzung
Amerikanische Warnung: Auf dem europäischen Herd köchelt ein Hexengebräu ■ D O K U M E N T A T I O N
„Wir sind wirklich ein mieses Volk“, schrieb William Rees -Mogg vor ein paar Wochen über die Briten in einer für einen ehemaligen Herausgeber der 'Times‘ und damit führenden Stimme des Establishments ungewöhnlich drastischen Sprache. „Randvoll mit Vorurteilen, massive Isolationisten, krankhaft mißtrauisch gegenüber Fremden“, verdonnerte er seine Landsleute. Was Mr. Rees-Mogg so in Rage gebracht hatte, war ein Zeitungsbericht mit der Meldung, daß 65 Prozent der Briten gegen Margret Thatchers Pläne sind, an die 50.000 Hongkong-chinesischen Familien die Einwanderung in das Vereinigte Königreich zu ermöglichen, wenn die Kronkolonie 1997 an Peking übergeben wird. Dieses Umfrageergebnis selbst mag nicht allzu überraschend gewesen sein. Was danach kam, war's. Von den Befragten sagten weitere 83 Prozent, daß sie dagegen wären, weitere Einwanderer aus Pakistan, Indien oder der Karibik ins Land zu lassen. 67 Prozent wollten keine Juden, 60 Prozent keine andere Europäer und die Kategorie „weiße Commonwealth-Angehörige“ etwa aus Kanada, Australien oder Südafrika wollten 54 Prozent nicht im eigenen Land sehen.
Ein riesiges Schild mit der Aufforderung „Haut ab!“ wollen die Briten (wie sie den Demoskopen anvertrauten) also am liebsten vor ihrer Insel aufpflanzen - und das ist im Westeuropa unserer Tage nichts anormales mehr. In einer Gesellschaft nach der anderen werden die Probleme von Immigration und Rassismus zu innenpolitischem Zündstoff. Während im Osten die Grenzen wiederentstehen und sie im Westen zu verschwinden beginnen, wird in ganz Europa akribisch aussortiert: Wer gehört wohin, und vor allem wer soll Zugang haben zu den nationalen Fleischtöpfen in den europäischen Wohlfahrtsstaaten?
In Frankreich streitet man im Parlament erbittert über die neuen, strengen Gesetze, die jeden, der der Verbreitung von Rassismus und Rassenhaß überführt wird, von politischen Ämtern ausschließt. Wenn diese von den Kommunisten und der sozialistischen Regierung gestützten Initiativen tatsächlich durchkommen, dann wäre es einfach illegal, wenn Kandidaten in Wahlkämpfen mit rassistischen Resentiments auf Stimmenfang gingen.
Rassismus färbt aber auf alle ab, die das Thema anpacken. Versteckte Absichten liegen auch hinter den nobel klingenden Haltungen: Die französischen Gesetze zielen auf einen Mann, Jean Marie Le Pen, der heute bei Umfragen 15 Prozent des nationalen Wählerpotentials auf sich vereinigt.
Sogar Premieministerin Thatchers Hongkong-Plan wird den widerstrebenden Mitgliedern der konservativen Partei mit einem rassistischen Argument schmackhaft gemacht: Die Chinesen, so wird privat und hinter vorgehaltener Hand erklärt, werden der britischen Wirtschaft auf die Sprünge helfen - ganz im Gegensatz eben zu den Pakistanern und Afrikanern, die mit den vorhergehenden Einwanderungswellen kamen. In Westdeutschland, wo es an die 4,6 Millionen Immigranten gibt (immerhin 8 Prozent der Bevölkerung), wird die Vereinigung im Überfluß für billige weiße Arbeitskraft aus Ostdeutschland sorgen - und die Zukunft für Türken und andere „Gastarbeiter“ verdüstern. In Italien, das immerhin eine eigene Geschichte als Auswanderungsland hat, werden nordafrikanische Immigranten zunehmend das Ziel von gewalttätigen Banden.
Die Politik der Ausgrenzung, das ist ein Hexengebräu, das für schwarze und braune Menschen aus entfernten Regionen, für Juden aus der Nachbarschaft bis hin zu Kanadiern erinnern wir uns an die britische Umfrage - bereitet wird.
Aber Wut und Haß, die zu politischen Zwecken hochgepeitscht werden, kippen schnell um in allgemeine Feindseligkeit all denen gegenüber, die einfach nichts als anders sind. Le Pens offener und erfolgreicher Gebrauch des Antisemitismus als Schmiermittel für eine Kampagne, die primär gegen in Frankreich lebende Araber und Afrikaner gerichtet war, zeigt das ganz deutlich.
Immigration und Rassismus werden in solch einer Atmosphäre zu Synonymen und vermischen sich im Bewußtsein der Wähler. Warum ist der Antisemitimus für ein großes Segment in der französischen Bevölkerung zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg zu einer öffentlich akzeptablen politischen Aussage geworden? Weil eben die sorgenvolle Erörterung der Immigration den rassistischen Diskurs in allen seinen Spielarten legitimiert hat. Le Pens Argumente unterscheiden sich zwar in der Form, aber nicht dem Inhalt nach von dem, was Hitler auf seinem Weg zur Macht in Deutschland verkündete. Das soll natürlich nicht heißen, daß Le Pen auf dem Weg ist, ein neuer Hitler zu werden. Hitler wurde bei seinen üblen Eroberungsstrategien durch Gefühle eines emotionalen Nationalismus und dem Verlangen nach Rache vorangetrieben, die wahrscheinlich nirgendwo in Europa mehr vorhanden sind und die heute in Frankreich ganz sicher nicht vorhanden sind. Die Sorge davor, daß Europa durch den neu enttarnten Nationalismus zurückgeworfen würde auf einen Zustand des Kriegs jeder gegen jeden, ist ernst zu nehmen und verständlich - aber sie ist auch übertrieben.
Konflikte über Grenzverläufe und Invasionen vor dem Hintergrund nationalistischer Raserei, das kann auch in Europas Zukunft noch passieren, wenn die Transformation der Sowjetunion wieder zurückgenommen werden sollte. Aber die wahrscheinlicheren und brisanteren Drohungen für Stabilität und Harmonie liegen in den steigenden rassischen Spannungen innerhalb nationaler Grenzen im Westen und den harten ökonomischen Kämpfen, vor die sich Zentral- und Osteuropa gestellt sieht - eine potentielle Quelle für den zerstörerischsten Antisemitismus und Rassenhaß, den die Welt je gesehen hat.
Europa muß sich heute auf den Feind im Inneren konzentrieren.
Jim Hoagland schrieb diesen Text für die 'Washington Post‘.
Übersetzung: Georgia Tornow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen