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Polit-TheaterKrieg für Kinder

Mit elementaren Fragen nach Freiheit und Gewalt berühren zwei Uraufführungen am Jungen Theater Bremen: Es setzt damit ein Zeichen auch für das norddeutsche Kinder- und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“.

"Uneingeschränktes Engagement": Im Stück "Kinder | SOLDATEN" bringen Kinder und Jugendliche Bedrückendes auf die Bühne. Bild: Jörg Landsberg/Theater Bremen

BREMEN taz | Mit Stöcken prügeln 17 Kinder auf Sandsäcke ein, bis die platzen. Die Kinder bespritzen sich mit Matsch, sie beschmieren ihre Gesichter mit Blut. Durch martialische Gesänge und stampfendes Marschieren heizen sie einander an – gleich zu Beginn der Performance „Kinder | SOLDATEN“, die am Sonntag erstmals gezeigt wurde.

Es war eine von gleich zwei Uraufführungen des Jungen Theater Bremen am vergangenen Wochenende: Regisseur Gernot Grünewald hat als Projekt der Theaterschule „Junge Akteure“ mit Jugendlichen die „Kinder | SOLDATEN“-Szenen konzipiert. „Weißes Papier“, das bereits am Samstag im Brauhauskeller Premiere feierte, hat Dramatiker Konradin Kunze als Erzähltheater verfasst und mit fünf Profi-SchauspielerInnen inszeniert: Es handelt von der ersten unabhängigen Zeitung des Südsudan. Auch in der Dichte der Abfolge – am Freitag zuvor hatte bereits die in zwei Jahren Proben erarbeitete Jugend-Choreografie „Symptom Tanz“ Premiere gefeiert –, weisen sie schon aufs norddeutsche Kinder- und Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“ hin. Es findet vom 7. bis 11. Mai erstmals in Bremen statt, und gezeigt wird in seinem Rahmen ein gutes Dutzend Produktionen.

„Dann setzten wir uns auf die Leichen und aßen zu Mittag.“ Erschütternd sind die meist chorisch gesprochenen Texte in „Kinder | SOLDATEN“; bedrückend die Bilder, die das Ensemble aus Jugendlichen und Kindern entwirft: Mit Taschenlampen beleuchten sie die düstere Bühne, hinter Masken aus Plastikkanistern tanzen sie und erzählen dabei aus dem Alltag von KindersoldatInnen: Erst kommt die Rekrutierung, irgendwann der erste Mord, schließlich Flucht und das Flüchtlings-Dasein in Deutschland. „Vielleicht wäre es besser gewesen, als Soldat zu sterben“, ist einer der Einblicke in eine Welt, die unsere ist – und doch uns wie auch den Darstellenden so fremd ist.

Unvorstellbare Lebensrealität

Über mehrere Auswahl-Workshops hatte Regisseur Grünewald im Herbst die 17 DarstellerInnen zwischen zehn und 17 Jahren ausgesucht. Zu Beginn der Proben wurden sie durch Berichte, Filme und Gespräche mit Lebensrealitäten konfrontiert, die für sie bis dahin unvorstellbar waren. Zum Beispiel Michael: Michael ist Anfang 30, heute lebt er in Bremen. Als er in Sierra Leone rekrutiert wird, ist er gerade mal 12 Jahre alt. „Ich konnte nicht glauben, was er uns erzählt hat“, sagt die Spielerin Rieke Klaßen. Angeregt durch die Proben, hat sie sich gemeinsam mit ihrer Klasse am „Red Hand Day“ gegen die Rekrutierung von KindersoldatInnen beteiligt.

In ästhetischen, überlebensgroßen Video-Interviews treten die Kinder und Jugendlichen immer wieder aus dem Kollektiv heraus. Sie erzählen, was sie gerne tun und ob sie sich vorstellen können, einen Menschen zu töten. Leider kommen sie selbst zu selten zu Wort, um zu erzählen, welche Prozesse sie durch die Konfrontation durchlebt haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, zu töten“, berichtet Rieke Klaßen. Schon die Erfahrung der Erzählung und der darstellerischen Aneignung „wird mich immer begleiten“.

„Es rührt mich“, so Grünewald, „mit welcher Unbedingtheit die Jugendlichen spielen, obwohl unsere Proben auch etwas Pseudomilitärisches hatten.“ Er fühlt sich an die Anfänge seiner Schauspielkarriere und an der Regieschule in Hamburg erinnert: „Wenn man mit professionellen Schauspielern arbeitet, hat man nicht immer dieses uneingeschränkte Engagement.“

„Anmaßung“ ist ein Wort, das sehr häufig fällt, wenn Gernot Grünewald von „Kindersoldaten“ erzählt. Die 17 Kinder und Jugendlichen sollen nicht so tun, als ob sie Schädel zertrümmern und Menschen töten. Stattdessen sollen sie StellvertreterInnen sein für ihre AltersgenossInnen an der Waffe. Dank dokumentarischer Quellen, die mal abgelesen, mal gedolmetscht werden, funktioniert das hervorragend. Auf der Bühne bleiben 17 Bremer Kinder, die mit Waffen aus Draht Krieg spielen. Wenn das Ensemble jedoch schreiend auf einen Einzelnen einprügelt, wenn eine Spielerin detailliert von der Zerstückelung eines Kindes erzählt, fragt sich: Wie sehr vollziehen die Jugendlichen die Verfremdung, die dem Regisseur so wichtig ist, wirklich nach? Wenn die älteren Jungs selbst beim Applaus noch die frenetisch gröhlenden Anführer spielen, stellt man mit flauem Gefühl fest, wie leicht Dynamiken manipulierbar sind – vor allem in Kinder- und Jugendgruppen.

Konradin Kunzes Produktion „Weißes Papier“ liegt thematisch relativ dicht bei Grünewalds Kindersoldaten: Beide Stoffe sind aus einer reflektierten, kritischen und doch europäisch geprägten Perspektive auf postkoloniale Zusammenhänge bearbeitet. Formal jedoch kontrastieren sie umso stärker miteinander: Im Gegensatz zu den performativen Kindersoldaten ist „Weißes Papier“ ein nur wenig experimentierfreudiges Erzähltheaterstück für Jugendliche, das mit fünf professionellen SchauspielerInnen erarbeitet wurde.

Die Regierung droht mit Mord

Es geht um die fiktive Zeitung „Der Pionier“, gegründet in einem Land, das sich noch nicht an Pressefreiheit gewöhnt hat. Die kleine Redaktion, in Besitz der einzigen Druckerpresse des Landes, hat mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber auch mit Morddrohungen der Regierung. Obwohl die Angst sie permanent begleitet, schafft die Redaktion es, einen Korruptionsskandal der Regierung aufzudecken, man bekommt internationale Aufmerksamkeit, die Auflage steigt– ebenso aber die Konflikte innerhalb der Redaktion. Und mehr noch: der gewaltsame Druck der MachthaberInnen.

Die Jurastudentin Grazia geht selbstbewusst zum Bewerbungsgespräch: „Wir Journalisten sind Augen und Ohren der Menschen.“ Sie sieht nichts als einen kargen Redaktionsraum. Aus den Wänden wächst Gras. Die Bühne ist ein heller, liebevoll gebauter Raum aus Holz im schlauchigen Bremer Brauhauskeller. Alles Weitere bringen die DarstellerInnen im Laufe des Stücks selbst auf die Bühne: Leuchtstoffröhren, Laptops, Ventilator, Plastikflaschen.

Die Produktion basiert auf der Geschichte des Citizen, der ersten unabhängigen Zeitung des Südsudan. Die einzige Redaktion des Landes arbeitet in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Im Juli 2011 hat sich die Republik vom Norden unabhängig gemacht und war von den UN anerkannt worden. Doch aktuell wüten wieder Konflikte: Das Land steht vor einem Völkermord. „Weißes Papier“, das Kunze auf Grundlage einer Recherchereise geschrieben und inszeniert hat, ist bewusst nicht im Südsudan verortet, um zu zeigen, dass Pressefreiheit nirgendwo selbstverständlich ist.

Welthaltige Stücke

Derart welthaltige Stücke sind in Bremen Programm: „Jugendliche wollen nicht nur sich selbst spiegeln“, sagt Rebecca Hohmann, die künstlerische Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters Moks. „Das wäre total langweilig.“ Das sieht auch Regisseur Grünewald so, der vor seiner Arbeit für die Junge-Akteure-Theaterschule eine dokumentarische Produktion zu den Jahren des tatsächlich legendären Bremer Intendanten Kurt Hübner verantwortet hatte: „Ich hatte keine Befürchtung, dass diese Auseinandersetzung für Kinder und Jugendliche uninteressant sein könnte.“ Skeptisch sei er eher gewesen, „ob Eltern ihre Kinder mitmachen lassen“.

Wie besonders diese Bremer Idee von einem politischen Kinder- und Jugendtheater ist, zeigt sich auch im Blick aufs Programm von „Hart am Wind“: Das zweijährliche Festival ist eine Art norddeutsches Branchentreffen, aber ein kuratiertes. Elf von 50 Bewerbungen hat die Jury ausgewählt, das Spektrum reicht vom platt/hochdeutsch-bilingualen „Lütt Aant – Ente Tod und Tulpe“ des Hamburg Ohnsorg Studios über Hannovers sprachlose „Räuber“ bis zur kaleidoskopartigen Coming-of-Age-Produktion „Korallenfische* sind andersrum“, des in Wennigsen am Deister angesiedelten Theaters zwischen den Dörfern: Produktionen die gesellschaftlich relevante Diskurse durchaus aufgreifen – aber doch weniger konkret formulieren, allgemeiner bleiben, nicht so Tagesschau-nah.

„Stimmt“, bestätigt Hohmann den Bremer Trend. Es sei „ein fast unausgesprochenes Bedürfnis gewesen“ – der Teams, der SpielerInnen, aber auch des Publikums. „Woher das genau kommt, lässt sich gar nicht sagen.“ Fest stehe aber, „dass wir das weiter machen“.

nächste Vorstellungen „Kinder | SOLDATEN“: 3. + 4. Mai, 19 Uhr, Bremen, Moks; „Weißes Papier“: 17. 5., 20 Uhr, Brauhauskeller;

Festival „Hart am Wind“: 7. bis 11. Mai

alle Infos: www.theaterbremen.de

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