: Polens Profischmuggler vermeiden Risiko
■ Durch die Preiserhöhungen in Polen lohnt sich für die „kleinen Fische“ der Schmuggel gar nicht mehr
Es ist kurz vor sechs Uhr morgens, als der „Gedania“-Express von Gdingen (Gdynia) kommend aus dem Szczecziner Hauptbahnhof in Richtung Grenze rollt. In den insgesamt 13 Wagen sitzen ganze 209 Personen, davon 198 mit polnischem Paß — für die Zollbeamten, die in Stettin zusteigen müssen, ist das im Vergleich zu früheren Einsätzen fast schon wie Urlaub. „Unser Rekordzug im letzten Jahr transportierte auf 800 Plätzen 2.800 Reisende“, erzählt der Stationsvorsteher. Damit sich der große Run der Schmuggler auf den Berliner Krempelmarkt nicht wiederholt, haben polnische Eisenbahn und Zollverwaltung die Anweisung ausgegeben, alle Passagiere, die keine Fahrkarte oder keine Platzkarte besitzen, an der Grenze aus dem Zug zu holen.
In Gumience fällt der neuen Praxis prompt ein herzkranker Reisender zum Opfer, der keine Platzkarte gekauft hat. Er muß zurück nach Szczeczin, obwohl der Zug fast leer ist. Gegen Ende der Kontrolle müssen noch drei weitere den Zug verlassen — sehr zur Freude eines geschäftstüchtigen Taxifahrers. Zur Abschreckung haben die Polnischen Eisenbahnen den Fahrpreis von Szczeczin nach Berlin um fast 50 DM für die einfache Fahrt erhöht — mehr als das Doppelte des Fahrpreises in Deutschland. Der Taxifahrer dagegen bietet die Fahrt nach Berlin für 40 DM pro Person an — und macht das Geschäft seines Lebens.
In Kolbaskowo, einem Grenzübergang für Pkw und Busse, haben die Zollbeamten keine so ruhige Nacht verbracht. Dort standen bereits am Sonntag nachmittag ganze Wagenkolonnen aus Zentralpolen Schlange, erst gegen 2.00 Uhr nachts wurde es ruhiger. Die Zollbeamten fertigen seit Montag früh wie an den westeuropäischen Grenzen ab, nur stichprobenweise wird kontrolliert. Das Warschauer Hauptzollamt hat indes bekanntgegeben, Schmugglern werde man mit Zivilstreifen schon im Vorfeld zu Leibe rücken; Zollfahnder in Zivil werden in den Zügen mitreisen und die potentiellen Schmuggler beobachten.
„Anti-Schmuggler- Kampagne“ in Polen
Doch am ersten Tag nach der Grenzöffnung sind die „Przemytnik“ (Schmuggler) zu Hause geblieben. Der Zug ist leer, die Zollbeamten entdecken keines der „bekannten Gesichter“. Die Schmuggler sind hervorragend organisiert und viel zu gerissen, um ausgerechnet am ersten Tag ein Risiko einzugehen. An diesem Tag ist die Zolldirektorin von Szczeczin persönlich in Gumience erschienen, dazu eine vierköpfige Sonderkommission des polnischen Grenzschutzes. Bereits seit Tagen läuft in den Massenmedien eine „Anti-Schmuggler-Kampagne“.
Die Zeiten, als Hausfrauen, Studenten und kleine Händler Knoblauchzehen in Säcken, Lebensmittel und Kleider in Massen verschoben, um ihr Gehalt aufzubessern oder nicht arbeiten zu müssen, scheinen vorbei. Die meisten der noch vor einem Jahr geschmuggelten Waren sind inzwischen in Polen teurer als in Deutschland; diese Art von Schmuggel lohnt sich nicht mehr. Die kleinen Fische bleiben zu Hause, gekommen sind dagegen hervorragend organisierte Banden von Zigarettenschmugglern. Deren Geschäft läuft folgendermaßen ab: Gekauft werden die vorwiegend amerikanischen Marken in Deutschland zu Großmarktpreisen, die dann unter Abzug der Mehrwertsteuer nach Polen geschafft werden. Dort werden sie in zollfreien Zonen gelagert, wodurch wiederum polnischer Einfuhrzoll und polnische Umsatzsteuer entfallen. Von dort gelangen sie illegal, über korrupte Zollbeamte oder verplombte Lastwagen an die Schmuggler. Die können die Ware dann in Deutschland praktisch zu Großmarktpreisen plus Reingewinn an den Mann bringen.
Die Zollbeamten in Gumience haben es nur mit dem letzten Teilstück des Schmuggelwegs zu tun. Nach der Abfertigung in Gumience fährt der Zug noch einige Kilometer weit über polnisches Territorium. Dort warten die „Werfer“. Die Schmuggler aus dem Zug ketten sich dann mit speziell angefertigten Haken an die Außenseite der Waggons und fangen die Zigarettenpakete, die ihnen von den Komplizen draußen zugeworfen werden, auf. Erst vor kurzem fiel einer der Schmuggler, ein siebzehnjähriger Schüler, beim Auffangen unter den Zug und verlor beide Beine. Seit dem 1. April haben die deutschen Zollbeamten ihre Abfertigung allerdings von Gumience nach hinter die Grenze verlegt. Jetzt warten sie gemütlich ab, bis die Schmuggler ihre „Ernte“ eingebracht haben und kassieren dann ab.
Ihre polnischen Kollegen betätigen sich unterdessen als Maulwürfe und bauen die Waggons auseinander. Der Zollvorsteher von Gumience: „Die meisten Zigaretten werden bereits auf den Rangierbahnhöfen, bevor der Zug zusammengestellt wird, unter die Waggondächer oder in die Wasserspülung der Toiletten eingebaut. Hinter der Grenze erfolgt dann die Demontage, schon in Bernau steigen die Abnehmer zu und kaufen den Schmugglern die Ware ab. Wenn der Zug in Lichtenberg einläuft, sind die meisten Transaktionen bereits gelaufen.
Seit Anfang April wurden die Kontrollen der zollfreien Zonen drastisch verschärft. „Was jetzt geschmuggelt wird, sind Vorräte“, meint ein Zöllner, „in wenigen Monaten sind die zu Ende.“ Alles in allem verläuft der erste Tag der Grenzöffnung in Szczeczin ruhig. Sowohl in Gumience als auch in Kolbaskowo stehen mehr Wagen zur Einfahrt nach Polen bereit als in entgegengesetzter Richtung. Polens Touristen haben sich die Appelle, nicht alle am ersten Tag loszufahren, offenbar zu Herzen genommen. Klaus Bachmann, Szczeczin
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