Polen: Zwillinge flüchten in Neuwahlen
Die Kaczynskis sehen nur noch in neuen Wahlen zum Parlament eine Möglichkeit des Machterhalts. In Umfragen liegen sie knapp hinter der liberalen Opposition.
WARSCHAU taz Nach wochenlanger Regierungskrise wird es in Polen vorgezogene Neuwahlen geben. Der Politische Rat der Partei der Kaczynski-Zwillinge "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) entschloss sich am Samstag zu diesen schmerzhaften Schritt. Die Wahlen sollen laut Regierungschef Jaroslaw Kaczynski vermutlich am 21. Oktober, spätestens aber im November 2007 stattfinden. Der reguläre Termin wäre erst im Herbst 2009. "Gott hat uns den Wahlsieg gegeben, der Teufel aber die Koalitionsparteien", fasste der PiS-Abgeordnete Marek Suski das Dilemma der Partei zusammen.
Seit mindestens sieben Monaten schlittert die Regierung Kaczynski von einer Krise in die nächste. Begonnen hatte der Niedergang der von Anfang an umstrittenen Koalition mit Rechtsextremen und Populisten, als im Dezember ruchbar wurde, dass die radikale Bauernpartei Samoobrona offenbar Arbeit in den Parteistrukturen gegen sexuelle Gefälligkeiten vergibt. Ab Frühling schoss die zweite Juniorregierungspartnerin, die ultrakatholische Polnische Familienliga (LPR), immer wieder mit umstrittenen Bildungsinitiativen quer. Anfang Juli schließlich setzte Kaczynski seinen Stellvertreter Andrzej Lepper, den Chef der Bauernpartei, wegen eines angeblichen Bestechungsskandals im Landwirtschaftsministerium ab. Bei seinem zweiten Stellvertreter Roman Giertych (LPR) griff er immer wieder in dessen Kompetenzen als Bildungsminister ein.
Die Opposition hatte schon vor Monaten Neuwahlen gefordert. In der vergangenen Woche hatten Staatspräsident Lech Kaczynski und der liberale Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO) bereits über vorgezogene Neuwahlen diskutiert. Bei vier Gläsern italienischem Rotwein seinen sich die beiden näher gekommen, berichtete die Presse am Samstag.
Damit tatsächlich Neuwahlen stattfinden können, müssen die Abgeordneten auf ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause am 22. August das Parlament auflösen. Die dazu nötige Zweidrittelmehrheit kommt nur zustande, wenn auch die PiS-Abgeordneten dem Antrag zustimmen.
Viele Polen trauen Jaroslaw Kaczynski nicht mehr über den Weg, seitdem dieser sich nicht nur mit zweifelhaften Partnern verbündet, sondern die Drohung vorgezogener Neuwahlen immer wieder politisch eingesetzt hatte, etwa um seine Juniorpartner zu disziplinieren. Diese müssen nämlich fürchten, bei Neuwahlen an der Fünfprozenthürde zu scheitern.
Beobachter gehen davon aus, dass Polen ein besonders schmutziger Wahlkampf bevorstehen wird. Kaczynski selbst hinterlässt nach knapp zwei Jahren Regierung eine gespaltene Nation und eine politisch vergiftete Atmosphäre. Seine PiS allerdings kann sich Hoffnungen auf einen erneuten Wahlsieg machen, wenn es ihr tatsächlich gelingt, den rechten Rand, den bisher die LPR besetzte, aufzurollen. In den Umfragen steht sie in der Wählergunst mit knapp 30 Prozent nur wenig hinter der oppositionellen PO.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!