Polen wird privat: 740 Staatsbetriebe unter dem Hammer
Weil der Rentenkasse das Geld ausgeht, will Polens linkskonservative Regierung hunderte Staatsunternehmen privatisieren - und das obwohl sie damit schlechte Erfahrungen gemacht hat.
WARSCHAU taz Das Programm ist ehrgeizig: 740 Staatsbetriebe will Polens liberalkonservativer Regierungschef Donald Tusk in den nächsten drei Jahren privatisieren. Sie sollen 30 Milliarden Zloty, umgerechnet rund 8,82 Milliarden Euro, in die Staatskasse spülen. Brauchen kann die Regierung dieses Geld gut. Knapp die Hälfte soll in einen Renten-Garantie-Fonds fließen und den drohenden Kollaps der Rentenkasse abwenden. Ebenso viel will Tusk für die Alteigentümer aufwenden, die schon seit Jahren auf Entschädigung oder Reprivatisierung ihres unrechtmäßig verstaatlichten Eigentums warten. Und irgendwie sollen auch für Polens Schüler und Studenten, Lehrer und Professoren noch ein paar Milliarden übrig bleiben. Denn der Bildungssektor ist seit Jahren chronisch unterfinanziert.
Während die Privatisierungspläne manchen Kritikern noch nicht weit genug gehen und sie auch den Verkauf der letzten Dinosaurier aus kommunistischer Zeit fordern, werfen andere der Koalition Vermessenheit vor. "Das Schatzministerium hat gar nicht die Leute, um in so kurzer Zeit eine solche Masse an Privatisierungen durchzuführen", erklärt Tomasz Budawski, Chef der Consultingfirma Access. "Theoretisch könnte der Minister zwar mehr Mitarbeiter einstellen, doch das größere Problem besteht darin, dass viele Beamte sich inzwischen vor jeder Entscheidung fürchten."
Tatsächlich hatte die rechtspopulistische Regierung unter Jaroslaw Kaczynski in den letzten zwei Jahren viele Privatisierungsverfahren neu aufrollen lassen. Beamte - auch solche der unteren Ebene - sollen die Staatsbetriebe zu Schnäppchenpreisen verhökert haben, wenn für sie selbst ein ordentliches Bakschisch heraussprang. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungsverfahren wegen Korruption ein, vor den Ministerien fuhren Polizeiautos mit Blaulicht vor und führten vor laufenden Kameras angebliche Mafia-Mitglieder ab.
Inzwischen sind viele der Verfahren eingestellt worden. Doch der Schock bei den Beamten sitzt tief. Die Haltung "Bevor ich für eine Entscheidung ins Untersuchungsgefängnis komme, treffe ich lieber gar keine" ist weit verbreitet. So erzielte die polnische Regierung in den letzten zwei Jahren denn auch die niedrigsten Erlöse aus der Privatisierung seit zehn Jahren: Gerade mal 0,6 Milliarden Zloty, rund 154 Millionen Euro, waren es im Jahr 2006, 2007 kamen 1,9 Milliarden Zloty, etwa 503 Millionen Euro, zusammen.
Schatz- oder Privatisierungsminister Aleksander Grad will möglichen Entscheidungsängsten der Beamten mit größtmöglicher Transparenz begegnen. Für jeden Verkauf eines Staatsbetriebes soll es eine Privatisierungskarte geben, auf der der gesamte Verkaufsprozess für jeden nachvollziehbar notiert wird - mit allen Kontakten und Entscheidungen. Außerdem kündigte er an, dass es vor jedem Abschluss ein Audit geben müsse - um Korruption auszuschließen, aber auch, um den Beamten das Sicherheitsgefühl zu geben, eine bereits geprüfte richtige Entscheidung gefällt zu haben.
Ein Teil der Verkäufe solle zudem im Auftrag des Ministeriums von Privatfirmen abgewickelt werden. "Wollten wir diese 740 Unternehmen alleine privatisieren, bräuchten wir dafür 15 Jahre und nicht 4", erklärt der Schatzminister.
Für den Verkauf der letzten Staatsbetriebe sei es noch zu früh, sagt hingegen Finanzminister Jacek Socha. Staatsunternehmen wie die Ölkonzerne PKN Orlen und Lotus, der Kupferproduzent KGHM Polska Miedz, der staatliche Gasversorger PGNiG, Telewizja Polska oder Polskie Radio seien im Bewusstsein der meisten Polen so etwas wie das "Familiensilber" des polnisches Staates. Der Verkauf dieser Firmen sei zurzeit politisch nicht durchsetzbar. "Aber in einigen Jahren, wenn dieses Privatisierungsprogramm abgeschlossen ist, wird man vielleicht ganz andere Entscheidungen treffen können."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!