Poledance als Sport: Um die Stange gezwirbelt
Der Stangentanz soll von seinem Schmuddelimage befreit werden: Es geht um „elegantes Ganzkörpertraining“ statt Sexarbeit.
Hart und ein bisschen glipschig fühlt sich die Stange an, in der nackten Kniekehle. Gar nicht so schwer, daran runterzurutschen, erst langsam mit abgespreizten Beinen, dann schneller, wenn man sie zu einem Dreieck zusammenzieht.
Poledance. Probestunde. Erster Stock in einem Gewerbehof kurz vorm Ende der S-Bahn, versteckt hinter Autowerkstätten und Büromöbel-Direktverkauf. Die Drillinstruktorin kickt ihre schluffigen Peru-Strickboots in Schlammfarben von den Füßen. Aufwärmen auf Yogamatten. So knisternd erotisch wie ein Nachmittag im Pilates-Studio.
Obwohl, natürlich. Das Standard-Outfit sieht aus wie eine Unterwäsche-Kollektion. Wie bei Beachvolleyballerinnen also. Oder Bikiniträgerinnen. Nur das die so selten dann auch noch Innenschenkelfleisch an Stangen klemmen. Ein Bein waagerecht durchgestreckt, das andere übergeschlagen, schon hänge ich da. Gar nicht so schwer. Gut nur, dass die Studiobetreiberinnen so milde waren, keine Spiegel zu montieren. Weil: Halten ist ja nicht das Gleiche wie grazil aussehen. Unverknautscht. Oder gar schön.
Weil das beim Poledance natürlich sehr wohl eine Kategorie ist. Schön aussehen. Die Stange sei auf Zehenspitzen zu umtänzeln. Nimm den Oberschenkel mal ein bisschen runter. Das wirkt eleganter. Brust raus. Haare werfen. Sätze, die am Fußballfeld oder an der Kletterwand so nicht vorkommen. Das ist eher so die Kategorie rhythmische Sportgymnastik.
„Riten aus der Rotlichtbranche“
Es ist, sagen wir mal, aufschlussreich, wie viele Leute nervös anfangen zu kichern und zu kalauern, wenn die Rede aufs Poledancing kommt. Schon klar, Puff, Stripclub, Bitchmoves, die Stange als Phallus. Komisch, dass ich das über Ballettstangen noch nie gehört habe. Oder über Hockeyschläger. Beim Boxen denkt ja auch keiner an Hitler. Ich habe auch noch nie jemanden peinlich berührt räuspern hören, dass ihm Salsa zu sexuell aufgeladen sei. Oder gar Tango.
„Adaption von Riten aus der Rotlichtbranche“, bescheinigt Kommunikationswissenschaftlerin Daniela Schaaf von der Sporthochschule Köln dem Poledance. Vier von fünf möglichen Punkten auf der Porn-Skala. Ganzkörpertraining mit Eleganz, entgegnen die Poledancerinnen.
Weil Poledance natürlich immer noch versucht, sich vom Untenrum-Schmuddelimage zu befreien. Was eher so mittelgut funktioniert, wenn eine der Trainerinnen nachher erzählt, sie habe ewig keine Stange zum Trainieren zu Hause gehabt. Habe damals im Club gearbeitet und halt da üben können. Und sich die Poledance-Profis kurz später dann so akrobatisch aufwändig an den Stangen und auf dem Boden räkeln, dass unübersehbar ist, dass sich bei diesem Sport also auch intimzurasieren ist.
Rollerderby oder Kickboxen ist das hier nicht gerade. Weswegen ich es auch beim besten Willen nicht schaffe, ironisch gebrochene weibliche Selbstermächtigung in diese Probestunde reinzuinterpretieren. Aber taugt das wirklich noch zum Aufreger? In einer Zeit, in der jede Hausfrau ihre Popohau-Fantasien, eingewickelt in rosa „Leseratte“-Stoffbuchüberzieher, in „50 Shades of Grey“ spazieren trägt?
Männer, die sich von Stangen spreizen
Vor einiger Zeit belehrte mich eine Swingtänzerin über das Wesen von Sport. Entscheidend sei nicht, dass man sich bewegt und schwitzt, meinte sie. Sport sei es dann, wenn man einen Trainingsanzug anziehen muss, meinte sie, die in Bars im Stiftrock tanzt. Und das im Alltag gleich anbehält. Nur konsequent, weil alles, was man leidenschaftlich tut, natürlich irgendwann in den Lifestyle einsickert. Andererseits sind wir doch so langsam drüber über das Mannsweiber-Klischee von Fußballerinnen.
Eigentlich geht Poledance auf Männer zurück, habe ich mir vorher in der Wikipedia angelesen. Auf Mallokhoma, einen indischen Traditionssport. Männer, die sich von Stangen spreizen. In von der Schwerkraft eigentlich verbotenen Posen. Ohne einen Hauch von Erotik.
Gedanken, über die ich schon wieder an der Arm-Bein-Koordination scheitere. Und am lasziven Hüftehängenlassen. Gut eingebitcht sieht wahrscheinlich anders aus.
Noch mal bitte, im Takt zur Musik. Plastik-lasziver R’n’B, natürlich. Oh, oh, oh, ah, ah, badoum. In meinem Kopf ein Parallelohrwurm von Peter Fox. Irgendwas mit Tanzen und einem schönen Elefanten. So fühle ich mich gerade eher. „Ist auch am Anfang alles viel auf einmal“, sagt die freundliche Eintänzerin, die mir beim Verhaspeln zusieht, ein bisschen mitleidig. Und dass man an der Stange klemmend besser noch mal die Hüfte einknickt. Weil’s halt schöner aussieht.
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