Poker um die Karstadt-Zukunft: "Wir sind alle abgestumpft"

Die Mitarbeiter der klammen Warenhauskette kommen nicht zur Ruhe: Ein Besuch im Berliner Haus am Hermannplatz.

Die Leute shoppen lieber im Internet: Karstadt lädt dazu ein. Bild: dpa

Seit etwa fünf zermürbenden Jahren bereitet sich Martin Gerlach auf die Pleite vor: „Seit der Insolvenz 2009 schaue ich mich nach einem anderen Arbeitsplatz um. Aber ich bin 53 Jahre alt, in meinem Alter ist das aussichtslos.“ Gerlach* arbeitet bei Karstadt am Neuköllner Hermannplatz. 2010 hatte der Investor Nicolas Berggruen den insolventen Konzern für einen symbolischen Euro übernommen. Seitdem ist wenig passiert, um das Unternehmen zu sanieren – Berggruen investierte kaum.

Anfang der Woche nun kündigte Stephan Fanderl, Vorsitzender im Aufsichtsrat von Karstadt, in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung harte Einschnitte an. Man mache sich „berechtigte Sorgen“ um die Profitabilität von mehr als 20 Filialen, sagte Fanderl. Jedes vierte Haus bundesweit wäre demnach von einer Schließung bedroht.

Die Filiale am Hermannplatz ist eins von sieben Warenhäusern, die Karstadt nach Angaben der Gewerkschaft Ver.di in der Hauptstadt betreibt. Rund 3.000 Festangestellte würden in Berlin bei Karstadt arbeiten, schätzt Ver.di, teilweise käme aber noch einmal dieselbe Anzahl Mitarbeiter aus anderen Beschäftigungsverhältnissen dazu.

Welche Filialen von einer möglichen Schließung betroffen sein könnten, ist derzeit völlig unklar. Wie der Karstadt-Betriebsrat mitteilte, gibt es laut Unternehmensleitung noch nicht einmal konkrete Schließungspläne. Arno Peukes, Vertreter von Ver.di im Karstadt-Aufsichtsrat, forderte indes Investor Berggruen am Mittwoch auf, klare Aussagen zu machen. „Die Beschäftigten brauchen jetzt endlich Ruhe und verlässliche Pläne.“

Wenn man sich in der Filiale am Hermannplatz umhört, ist die Unsicherheit darüber, was wohl kommen mag, deutlich zu spüren. Aber ebenso groß scheint die Resignation zu sein. „Wir sind inzwischen alle abgestumpft“, sagt Angestellter Gerlach, „wir wissen nicht, wie es weitergeht. Uns informiert auch niemand, wir erfahren alles aus der Presse.“ Über einen Arbeitskampf denke aber niemand nach. „Wir haben eh keine Chance“, glaubt Gerlach. Ein Streik sei nur sinnvoll, wenn man das ganze Haus dichtmache. „Aber dafür müssten alle mitziehen, und viele haben dafür zu viel Angst.“

Als Berggruen den Konzern übernahm, hatten sich die Beschäftigten aus Angst vor einer Schließung zu finanziellen Einbußen bereit erklärt. Bis 2012 gab es Einsparungen beim Personal von etwa 150 Millionen Euro. Stefanie Nutzenberger vom Ver.di-Vorstand schätzt, dass die Beschäftigten in den letzten zehn Jahren, also seit Beginn der Sanierungsphase, insgesamt auf rund 700 Millionen Euro Lohn verzichtet haben.

Im Obergeschoss des Hauses scheint die Vormittagssonne auf die Dachterrasse. Von hier hat man einen Blick auf den Hermannplatz. Hinter den Fenstern im hauseigenen Restaurant haben die ersten RentnerInnen ihr Mittagessen beendet. Die Angestellte an der Restaurantkasse möchte ohne das Okay ihres Chefs nichts sagen. Nur so viel: „Das Restaurant ist eine Tochter von Karstadt. Wenn Karstadt schließt, gehen wir mit unter.“

Auch Reza Eskafi macht sich Sorgen um seine wirtschaftliche Existenz. Seit über elf Jahren betreibt er den Zapfhahn im Untergeschoss des Hauses. Der Betrieb besteht aus nicht viel mehr als einem Tresen, dennoch sei die kleine Kneipe für viele Stammgäste eine zweite Heimat, sagt Eskafi. Man tausche sich aus über Krankheiten, Urlaube und Politik, manche seiner Gäste besuche er auch zuhause, erzählt er. Am Tresen nippt ein alter Mann an einem Espresso. Er sei zwar gegen eine Schließung, sagt er, auf die Straße gehen würde er aber nicht. „Das bringt doch nichts, da geht es um Milliarden. Wir sind da doch weniger wert als Ameisen.“ Eskafi sagt: „Wenn Karstadt schließt, ist der Hermannplatz tot.“

Dass die Filiale am Hermannplatz nun womöglich trotz des Verzichts der Angestellten auf einen Teil ihres Lohns geschlossen werden könnte, lässt Gerlach bitter werden. „Berggruen zieht jedes Jahr Millionen Euro aus der Karstadt-Marke. Die, die besitzen, sind halt alle gleich.“

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