Point 'n' Click: Fernsehen für Fortgeschrittene
■ Echte Nachbarschaftshilfe: Die CD-ROM über offene Fernsehkanäle in den USA
TV-Bürgerkanäle haben in Deutschland keinen guten Ruf: Die offenen Kanäle, die die Telekom für Fernsehprogramme von Amateuren freihalten muß, werden entweder überhaupt nicht benutzt oder sind voll mit obskuren Dilettantenprogrammen. In den Vereinigten Staaten ist das anders. Dort haben sich seit Anfang der achtziger Jahre Politaktivisten und Künstler zu einer Art medialer Bürgerbewegung zusammengetan und produzieren zum Teil Programme, die nicht nur p.c. und gut gemeint, sondern auch gut gemacht sind.
Dazu gehören unter anderem Papertiger TV, Manhattan Neighborhood Network und Staten Island TV, die alle in New York City operieren. Die CD- ROM „Tod dem Fernsehen“ stellt einige amerikanische Fernsehamateure vor, die alle frei nach Brechts Utopie arbeiten, die da hoffte, daß die elektronischen Medien einst aus dem Heer von Medienkonsumenten ein Heer von Produzenten machen würden: Die Amateure produzieren Fernsehen für ihre community und greifen Themen auf, die in den Mainstreamprogrammen der vier großen, den amerikanischen Markt beherrschenden Kommerzsender totgeschwiegen werden. Diese Form praktizierter Gegenöffentlichkeit sei der Tod des Fernsehens, so wie wir es kennen, heißt es in diesem „digitalen Essay“.
Jeder soll in einer „elektronischen Demokratie“ senden und empfangen können, wie Brecht es forderte. Die meisten Videoaktivisten bieten darum auch Videokurse an, um eine mediale Ausbildung für alle Gesellschaftsschichten zu verwirklichen.
Was diese Gruppen so alles machen, erfahren wir aus einer Reihe von kurzen Videointerviews und einigen Audio-Files. Unverständlicherweise fehlen hier allerdings Arbeitsproben und Programmausschnitte. Hätte man ein paar Auszüge aus den manchmal aggressiven, manchmal witzigen Shows von Papertiger TV mit ihrem Billigstlook auf die ROM gepreßt, wäre vielleicht schneller klar gewesen, was diese Sendungen vom betulichen deutschen Bürgerfernsehen unterscheidet.
Aber leider gibt es nur einige kurze Ausschnitte mit lausiger Auflösung, die vom Monitor abgefilmt wurden. Dafür findet sich auf „Tod dem Fernsehen“ ein sogenannter „Text-Mushroom“: reichlich miteinander verlinkte Hypertexte inklusive der Adressen aller vorgestellten TV-Gruppen, den man zum Teil sogar auf die eigene Festplatte herunterladen und ausdrucken kann. (Man beachte besonders den witzigen Aufsatz über die Architektur der ORF-Landesstudios!) Außer Open-access-Konzepte werden auch die Arbeiten von Videokünstlern wie Paul Garrin, Bill Fontana, Rick Rue und anderen vorgestellt.
Die beiden Wiener „Bildoperateure“ (so ein Wort kann auch nur Österreichern einfallen!) Margarete Jahrmann und Max Moswitzer, die „Tod dem Fernsehen“ herausgebracht haben, haben auch einige Gimmicks auf die ROM gepackt: Aus einer Reihe von Bildern kann man einen eigenen Flickerfilm zusammenschneiden oder vorgegebene Bilder aneinandermorphen. Außerdem kann man sich mit der Maus durch ein „Textlabyrinth“ bewegen und an einigen Ecken kurze Videos abrufen. Es gibt sicher benutzerfreundlichere Interfaces, mit denen man schneller an seine Informationen kommt, aber um reine Wissensvermittlung geht es dieser CD-ROM nicht. Dazu ist sie auch zu aufwendig gestaltet.
Die hier irgendwie zugrunde liegende implizite Behauptung, daß diese „interaktiven“ Funktionen dem Konsumenten eine neue, aktivere Rolle zuweisen, ist allerdings etwas hoch gegriffen. Etwas enervierend sind auf die Dauer auch einige nicht abschaltbare Musikschleifen, die der ganzen Angelegenheit offenbar einen modischen Technotouch geben sollen, einem auf die Dauer aber nur den letzten Nerv töten. Der größte Haken bei dieser interessanten Produktion ist allerdings das Format: „Tod dem Fernsehen“ ist nur für Macintosh, und der ist bekanntlich eine langsam aussterbende Spezies. Tilman Baumgärtel
Margarete Jahrmann und Max Moswitzer (Mamax): „Tod dem Fernsehen“. Videoband und Hybrid-CD-ROM für Macintosh für System 7.1 oder höher. Mehr Infos über Mamax im WorldWideWeb: http:/ www.t0.or.at/-max/
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