Pogrome in Neapel: Molotow-Cocktails auf Roma-Baracken
In Neapel ist es zu Pogromen in Roma-Siedlungen vor laufender Kamera gekommen. Die Regierung Italiens liefert passende politische Begleitmusik.
ROM taz In Neapel ist es am Montag und Dienstag zu schweren Ausschreitungen gegen Roma gekommen. Auslöser war die Verhaftung einer 16-jährigen Romni unter der Anschuldigung, es habe ein Baby zu entführen versucht.
Dutzende Bewohner des heruntergekommenen Stadtteils Ponticelli zogen am Montagabend vor die fünf Roma-Barackenlager des Viertels; in der Nacht flogen die ersten Molotow-Cocktails. Zu erneuten Ausschreitungen kam es am Dienstag, als sich mehrere hundert mit Knüppeln, Eisenstangen und Steinen bewaffnete Bürger vor den Camps einfanden. Die Pogrome fanden auch im Fernsehen statt. Ein zur Berichterstattung angerücktes Kamerateam des italienischen Staatssenders RAI war vor ein Lager gezogen, um für die Sendung "Leben live" über den "Unmut der Anwohner" zu berichten - und die nutzten ihrerseits die Gelegenheit, ganz Italien live an ihrem Pogrom teilhaben zu lassen: Erst durften die braven Bürger ihre Hassparolen in die Kameras sprechen und dann ihrem Hass freien Lauf lassen. Am Ende wurden drei Camps und ein leer stehendes, in letzter Zeit von Roma besetztes Gebäude abgefackelt.
Unklar ist, was sich wirklich am letzten Samstag in jener Wohnung zutrug, in der der angebliche Entführungsversuch stattgefunden haben soll. Sicher ist bloß, dass eine 16-jährige rumänische Romni in dem Wohnhaus war. Die zum Zeitpunkt der angeblichen Tat in ihrer Wohnung anwesende Mutter des Babys behauptet, das Mädchen habe versucht, ihr Kind zu rauben. Solche Anschuldigungen gibt es in Italien - und nur dort - alle paar Monate. Nicht ein einziges Mal allerdings hatten sie allerdings bisher Bestand. Das macht aber nichts: Jedes Mal sind sie für die Medien ein gefundenes Fressen. Auch das gibt es wohl nur in Italien: Ganz ernsthaft und ohne die Spur eines Zweifels setzen sich respektable Journalisten mit der "Tatsache" auseinander, dass "Zigeuner Kinder stehlen" - und schaffen so das Klima für Pogrome.
Neben Steinhageln und Brandattacken wurden auch Übergriffe auf einzelne Roma gemeldet; so wurden zwei Roma-Frauen, die bloß einkaufen wollten, rabiat aus einem Supermarkt vertrieben. Die Polizei beschränkte sich darauf, etwa 100 Roma aus ihren Lagern - und aus dem Stadtteil - wegzueskortieren. Verhaftungen von Brandstiftern und Steinewerfern wurden nicht gemeldet. Sie wären im gegenwärtigen politischen Umfeld auch nicht willkommen: Der Mob darf sich über Verständnis von ganz oben freuen. Schließlich ist es die italienische Regierung, die unter Berlusconi den "Notstand" an der Ausländerfront ausgerufen hat und ein hartes Maßnahmenpaket vorbereitet. Schon hat Innenminister Bobo Maroni von der Lega Nord für die Metropolen Mailand und Rom zwei Roma-Sonderkommissare bestellt, die das Problem definitiv lösen sollen. Selbst die "Aussetzung" des Schengen-Abkommens erwog Maroni, musste sich aber von Außenminister Franco Frattini belehren lassen, dass das nicht geht.
Wenig Widerspruch kommt von der Opposition. Die zur linken Demokratischen Partei gehörende Bürgermeisterin Neapels, Rosa Russo Iervolino, jedenfalls bekundete "teilweise Verständnis" für die Roma-Hatz in ihrer Stadt.
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